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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Federvieh.
    Fast an jeder Straßenecke drang Lärm aus einer Taverne; über den Eingangstüren dieser Gebäude hingen bunt bemalte Holztafeln, auf denen Weinreben oder Pokale abgebildet waren. An den Fassaden verschiedener größerer Schankstuben prangten zudem Wandgemälde, die zum Besuch einluden; das eine oder andere zeigte eher derbe als geschmackvolle Motive.
    Eines dieser auffälligen Häuser befand sich nicht allzuweit von dem rechteckigen Platz entfernt, an dessen Rand sich die Kirche Sancta Maria erhob. Branwyn erkannte sie an dem Kreuz, das den First des nicht sonderlich hohen Sakralbaus schmückte; ansonsten unterschied das christliche Gotteshaus sich lediglich durch jeweils zwei schlichte Marmorsäulen links und rechts des Portals von den sauber gehaltenen Wohngebäuden seiner Umgebung.
    Branwyn wußte von Samira, daß eins davon einer gewissen Calpurnia gehörte. Die Sibylle, der die Verhältnisse in Rom nicht völlig fremd waren, hatte ihr geraten, einfach nach dieser Frau zu fragen, nachdem sie angekommen sei. Da auf dem Kirchplatz im Moment aber nur einige Kleinkinder lärmten und kein Erwachsener zu sehen war, betrat Branwyn in der Hoffnung, dort jemanden zu finden, den Sakralbau. Tatsächlich erblickte sie, nachdem ihre Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, ein halbwüchsiges Mädchen, das in der Nähe des steinernen Altartisches kniete. Still wartete Branwyn, bis die Betende ihre Andacht beendet hatte und sich erhob, um die Kirche wieder zu verlassen. Dann, als das Mädchen an ihr vorbeikam, setzte sie an: »Könntest du mir bitte sagen, wo …«
    »Ach, du interessierst dich bestimmt für die heilige Quelle, richtig?« fiel ihr die Halbwüchsige ins Wort.
    »Es gibt hier einen Born?« wunderte sich Branwyn.
    »Natürlich! Die berühmte Ölquelle, die alle ortsfremden Christen sehen wollen«, entgegnete das ungefähr fünfzehnjährige Mädchen, das einen aufgeweckten Eindruck machte. »Hast du Sancta Maria etwa nicht deswegen aufgesucht?«
    »Eigentlich tat ich es aus einem anderen Grund«, erwiderte Branwyn. »Aber nachdem ich nun von dem Born erfahren habe, würde es mich schon reizen, einen Blick auf ihn werfen.«
    »Wußte ich's doch«, lachte die Heranwachsende. »Und da ich noch ein bißchen Zeit habe, ehe ich heim zur Vesper muß, macht es mir nichts aus, die Fremdenführerin für dich zu spielen. – Komm mit! Die Quelle befindet sich dort vorne in der Mauernische schräg hinter dem Altar.«
    Während sie dem hilfsbereiten Mädchen folgte, fand Branwyn Gelegenheit, den Raum genauer zu betrachten. In halber Höhe über den Bankreihen sah sie verschiedene Wandgemälde, welche zumeist Pflanzen und Tiere – darunter mehrmals den Ichthys – zeigten. Die Darstellungen erinnerten Branwyn an die Bildnisse in der Flechtwerkkirche von Avalon, doch gab es hier zusätzlich Kreuzmotive, und an einer Stelle war dieses Symbol mit einem sechszackigen Davidstern verflochten. Als Branwyn ihre Begleiterin darauf ansprach, erläuterte diese ihr, daß in Trans Tiberim auch jüdische Familien lebten, mit denen sich die hiesigen Christen gut verstünden, und das Zeichen solle Ausdruck dieser freundschaftlichen Verbundenheit sein.
    Gleich darauf bog die Fünfzehnjährige um den Altartisch und blieb vor der genannten Einbuchtung in der Kirchenmauer stehen. Die Nische war mit einem sichtlich sehr alten Mosaik geschmückt, das eine orientalisch anmutende Frauengestalt in einem weiten blauen Umhang zeigte, und Branwyn vermutete: »Die Mutter Jesu, nach der eure Kirche benannt ist, nicht wahr?«
    Das Mädchen nickte, dann deutete es auf eine quadratische, mit Steinplatten eingefaßte Vertiefung von ungefähr einer Elle Durchmesser im Boden. »Und hier hast du die Ölquelle, die das Gotteshaus von Sancta Maria berühmt gemacht hat.«
    Als Branwyn sich niederbeugte, bemerkte sie einen strengen Geruch, der aus dem Schacht heraufdrang. Unwillkürlich rümpfte sie die Nase – und vernahm die Stimme der Fünfzehnjährigen: »Ja, so ergeht es jedem, der zum ersten Mal herkommt und nicht auf die Ausdünstung des Erdpechs gefaßt ist.«
    »Pech?« kam es erstaunt von Branwyn. »Ich dachte, dort unten befände sich flüssiges Öl?«
    »Früher einmal soll es wirklich aus der Tiefe gequollen sein«, erklärte die Halbwüchsige. »Doch schon seit vielen Menschenaltern ist es zu zähen Klumpen erstarrt, und wenn du ein wenig davon herauskratzt, hältst du eben Erdpech zwischen den Fingern. Du kannst es gerne einmal

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