Die Bischöfin von Rom
Jesu gelehrt. Du hast in deiner Aussage beides miteinander verbunden, und ich wüßte nicht, was daran schlecht sein sollte. Denn objektiv betrachtet, sind die nur scheinbar unterschiedlichen Wege gleich wertvoll; sie schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich vielmehr gegenseitig.«
»Darin pflichte ich dir aus vollem Herzen bei!« kam es erleichtert von Branwyn; sie hatte verstanden, welche Brücke die Freundin ihr zu bauen versuchte. »Und wir stehen mit unserer Einschätzung nicht allein; ähnlicher Meinung waren auch Vater Jacwb, mein erster christlicher Lehrer auf der Ynys Vytrin, sowie Saray und Danyell, das Priesterehepaar in Avalon …«
Sie zögerte, ehe sie fortfuhr: »Allerdings ging es in Britannien niemals um das konkrete Problem, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben: das der Taufe. Deinen Worten entnehme ich nun freilich, daß du mir das Sakrament spenden willst, ohne von mir zu verlangen, den alten Göttern abzuschwören, und ich bin dir sehr dankbar dafür. Nur weiß ich nicht, ob du dich damit nicht eventuell selbst in Schwierigkeiten bringst …«
»Falls mir irgend jemand aus der Gemeinde Sancta Maria deswegen Vorwürfe machen wollte, hätte ich nichts zu befürchten«, erwiderte die Presbyterin, und abermals spielte das feine Lächeln um ihren Mund. »Im Notfall könnte ich mich nämlich auf die Geschichte unserer Kirche berufen.«
»Inwiefern das denn?« erkundigte sich Branwyn erstaunt.
»Weil man Sancta Maria auf einem Platz erbaute, der ursprünglich ein heidnisches Heiligtum war«, erklärte Calpurnia.
Branwyn erinnerte sich an die Gründungslegende des Gotteshauses, die sie am Tag ihrer Ankunft in Trans Tiberim gehört hatte. »Als ich Sancta Maria erstmals betrat und dort Angela kennenlernte, erzählte mir deine Enkelin von einem Eichenhain, der einst an der Stelle der heutigen Kirche stand. Ich vermutete damals, es könnte sich um eine Orakelstätte gehandelt haben, denn eine geheimnisvolle Frau schalt die Männer, welche die Bäume gefällt und dadurch wohl die Ölquelle zum Sprudeln gebracht hatten, und gab sodann eine Prophezeiung über die Geburt Jesu ab. Aber Angela konnte mir nicht sagen, ob die Römer irgendwann früher in diesem Hain ein Orakel befragt hatten.«
»Das taten sie nicht«, entgegnete die Presbyterin. »Vielmehr suchten sie den Ort auf, um Isis ihre Verehrung zu erweisen.«
»Isis!« Branwyns Augen leuchteten auf. »Das ist der Name, den die Ägypter der Dreifachen Göttin gaben!«
»Doch sie besaß nicht nur am Nil Heiligtümer, sondern auch in Italien«, erläuterte Calpurnia. »Besonders zur Zeit der letzten Ptolemäerkönige Ägyptens war dies so, und die berühmteste unter ihnen, Kleopatra, weilte vor ungefähr vierhundert Jahren als Gast Cäsars in Rom. Sie ließ den Eichenhain um einen bereits mehrere Generationen bestehenden Isis-Altar pflanzen, wodurch der sakrale Platz vorübergehend noch größere Bedeutung gewann als zuvor. Später freilich geriet er bei den meisten Römern wieder in Vergessenheit, denn nun kam unter Augustus der Kult des Gottkaisertums auf, und deshalb konnte es geschehen, daß einige ignorante Männer die Bäume fällten. Die Frau wiederum, von der du vorhin sprachst, war vermutlich eine Isis-Priesterin, die noch in der Nähe des Haines lebte und offenbar über die Gabe der Prophetie verfügte. Wörtlich sagte sie die Geburt eines Kindes aus dem Schoß der Großen Mutter vorher, dessen Dasein von außergewöhnlicher Menschenliebe überstrahlt sein werde.«
»Durch seine grenzenlose Nächstenliebe war Jesus mit der Dreifachen Göttin, die stets das Gute will, innig verbunden«, flüsterte Branwyn.
»Das war auch jenen ersten Christen bewußt, die bald nach der Kreuzigung des Galiläers zu dem alten Isis-Heiligtum zu pilgern begannen«, fuhr die Presbyterin fort. »Zumindest einige von ihnen, die ägyptischer Abstammung waren, beteten dort sowohl zur Göttin als auch zu Maria, der leiblichen Mutter Jesu. Irgendwann schließlich verschmolzen beide zur Madonna, so daß man die Kirche, die vor etwa einhundertfünfzig Jahren errichtet wurde, Sancta Maria nannte.«
»Und was geschah mit dem Altar der Isis?« wollte Branwyn wissen.
»Er befindet sich noch immer an Ort und Stelle, denn er wurde zum Altarstein des christlichen Gotteshauses«, antwortete Calpurnia. »Weil es sich aber so verhält, habe ich keine Bedenken, dich zu taufen, obwohl du gleichzeitig den heidnischen Göttern die Treue halten willst. Gerade
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