Die Bischöfin von Rom
meinst, es könnte irgendwann Widerstand in Trans Tiberim gegen mich geben, weil ich ungetauft bin?«
»Die Menschen unseres Stadtviertels wissen, was sie an dir haben«, antwortete die Presbyterin. »Doch ich kann nicht ausschließen, daß das Patriarchat eines Tages darauf verfällt, dir diesbezüglich einen Strick zu drehen. Und falls das geschähe und es durch irgendwelche Intrigen gelänge, dir die weitere Tätigkeit in der Kirchengemeinde zu verbieten oder auch bloß zu erschweren, wäre das ein schrecklicher Schlag für Sancta Maria …«
Branwyn preßte die Lippen zusammen; während die beiden Frauen schweigend weitergingen, war der Jüngeren anzusehen, wie sie mit sich rang. Dann, als sie den Platz erreichten, auf dem die genannte Kirche stand, atmete Branwyn tief durch und sagte leise: »Ich werde über die Frage der Taufe nachdenken.«
***
Im Verlauf der folgenden Wochen wirkte Branwyn häufig in sich gekehrt; so oft ihre Pflichten es erlaubten, suchte sie die Einsamkeit. Beinahe schien es, als wollte sie sich der Aufmerksamkeit, die ihr nach der Auseinandersetzung mit dem Reliquienhändler vielfach entgegengebracht wurde, bewußt entziehen.
Während ihr entschlossenes Auftreten gegenüber Paulinus Lupus nicht nur in Sancta Maria, sondern auch in zahlreichen anderen Kirchensprengeln für Gesprächsstoff sorgte, verbrachte sie lange Stunden in Sancta Praxedis: in dem bescheidenen Sakralbau, der zur Zeit des Simon Kephas jüdisches Bethaus und zudem ein Ort des Miteinander für Juden, Urchristen und Heiden gleichermaßen gewesen war. Mehrmals wanderte sie außerdem ins Hügelland westlich der Stadt; schon im vergangenen Jahr, als sie Heilkräuter für das Hospital gesucht hatte, war sie in der Nähe der Aqua Traiana, eines Aquädukts, das Wasser vom nahen Bracianussee nach Rom führte, auf ein uraltes Heiligtum der Dreifachen Göttin gestoßen. Sie wußte, daß Ceridwen unter dem Namen Ceres früher auch in Italien verehrt worden war und manche Menschen, gerade auf dem Land, ihr weiterhin anhingen. Die Blumenkränze oder anderen anrührenden Opfergaben, die stets an der von drei kleinen, nur hüfthohen Menhiren umrahmten Quelle zu finden waren, bewiesen es. Hier hielt Branwyn stille Zwiesprache mit der Göttin und bemühte sich, Klarheit über ihren künftigen Weg zu gewinnen.
Eines Abends Ende November dann klopfte sie an Calpurnias Zimmertür. Ein besonderer Ausdruck auf Branwyns Antlitz ließ die Presbyterin ahnen, warum ihre Freundin gekommen war; kaum saß die jüngere Frau, fragte Calpurnia: »Du hast dich entschieden, nicht wahr?«
»Ja, das habe ich«, entgegnete Branwyn. »Ich möchte mich gerne von dir taufen lassen!«
»Ich hoffte so sehr, du würdest dich dazu entschließen«, freute sich die Presbyterin. »Es ist wirklich das beste für dich und die Gemeinde, und ich kann dir gar nicht sagen, wie …«
»Eine Bedingung muß ich aber stellen!« unterbrach Branwyn.
Erstaunt musterte Calpurnia sie; gleich darauf kräuselte ein feines Lächeln ihre Lippen, und sie erwiderte: »Ich glaube zu wissen, worum es dir geht. – Doch wir werden hinsichtlich deiner Liebe zu den alten Gottheiten eine Lösung finden …«
Branwyn atmete auf. »Das ist tatsächlich der Punkt, über den ich mit dir sprechen muß. Schließlich sagte ich dir bereits an dem Tag, da ich den Streit mit Paulinus Lupus hatte, daß ich die keltischen Götter niemals verleugnen würde – und dies gilt auch für den Fall meiner Taufe!«
»Das ehrt dich ebenso wie dein mutiges Eintreten für wahres Christentum auf dem Forum«, antwortete die Presbyterin. »Du riefst dem Scharlatan damals zu, Einklang mit dem Göttlichen würde durch Humanität und Nächstenliebe gewonnen, nicht jedoch durch die Abgötterei des Reliquienkults. Dieses Wort macht seither in vielen Kirchensprengeln die Runde; ich weiß es, weil ich häufig genug darauf angesprochen werde. Dir aber möchte ich nun die Frage stellen, ob du an jenem Nachmittag eigentlich heidnisch oder christlich argumentiertest?«
Branwyn runzelte die Stirn. »Darüber dachte ich gar nicht nach … Doch jetzt, da du mich dazu veranlaßt, es zu tun, würde ich sagen, es war sowohl das eine als auch das andere im Spiel.«
»Richtig!« bestätigte Calpurnia. »Wer für das Ideal der Nächstenliebe eintritt, handelt ohne Zweifel christlich; die Werte der Humanität hingegen wurden von heidnischen Philosophen oder den Priesterinnen der Großen Göttin schon lange vor der Geburt
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