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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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in unserer Gemeinde Sancta Maria können wir uns jederzeit auf die friedliche Verschmelzung des alten und des neuen Glaubens berufen; der eine Weg schließt den anderen nicht aus. Es zählt einzig die Menschenliebe, die von den Priesterinnen der Isis ebenso gelehrt wurde wie von den Frauen und Männern, welche als Apostel die geistige Nachfolge des Gekreuzigten antraten, und tief in meinem Herzen bin ich deshalb gewiß, Jesus hätte meine Entscheidung gebilligt.«
    Branwyn erhob sich und umarmte die Presbyterin, dann fragte sie: »Ich nehme an, du wirst mir die Taufe am Osterfest des neuen Jahres spenden?«
    »So ist es von jeher Brauch in unserer Gemeinde«, nickte Calpurnia.
    ***
    Nach urchristlicher Tradition feierten die Gläubigen von Sancta Maria Ostern am selben Tag, an dem die Juden seit mehr als eineinhalb Jahrtausenden ihr Pessachfest begingen. Am Morgen nach dem ersten Frühlingsvollmond, in diesem Jahr 359 einem Mittwoch, versammelten sich die Gemeindemitglieder zum Gottesdienst in ihrer Kirche – und ignorierten damit einen Beschluß des Konzils von Nicaea, aufgrund dessen die Osterfeier vier Tage später, am ersten Sonntag nach der bewußten Vollmondnacht, hätte stattfinden müssen.
    In ihrer Predigt legte Calpurnia die Gründe für das Festhalten an dem überlieferten Brauch dar: Der Konzilsbeschluß sei gefaßt worden, um einen Keil zwischen Juden und Christen zu treiben und die beiden Religionen voneinander abzugrenzen. Diese Zerstörung der Gemeinsamkeit aber widerspreche der Lehre Jesu, die das Miteinander und nicht das Gegeneinander wolle. Allein in diesem Geiste – wenn Frauen und Männer verschiedenen Glaubens und unterschiedlicher Herkunft sich im Bemühen um Frieden und Verständnis die Hände reichten – könne jenes neue Leben entstehen, von dem der Galiläer so oft gesprochen habe. Hier liege das Geheimnis der seelischen und nicht – wie fälschlicherweise bisweilen angenommen – körperlichen Auferstehung, die Jesus im Einklang mit dem Göttlichen und wegweisend für alle anderen Menschen guten Willens einst in Jerusalem vollzogen habe – und deshalb sollten christliches Ostern und jüdisches Pessach auch künftig auf denselben Tag fallen.
    Branwyn, die zwischen den Kindern und Jugendlichen aus dem Waisenhaus saß, spürte die tiefe Zustimmung, welche die Worte der Presbyterin bei den Gottesdienstbesuchern hervorriefen. Wenig später, nachdem ein Osterlied gesungen worden war, kündigte Calpurnia an, daß nunmehr einige neue Mitglieder durch die Taufe in die Kirchengemeinde aufgenommen werden sollten. Sie nannte die einzelnen Namen; als der von Branwyn fiel, lief ein freudiges Raunen durch die Reihen der Gläubigen. Anschließend bat die Presbyterin die Täuflinge in die Sakristei, wo sie ihre Kleider ablegten und frische weiße Gewänder anzogen, um sich sodann hinaus auf den Kirchplatz zu begeben.
    Dort warteten bereits alle, die am Ostergottesdienst teilgenommen hatten. In feierlichem Zug geleiteten die Gemeindemitglieder die Taufkandidaten, zwischen denen Calpurnia ging, den kurzen Weg zum Tiberufer. Ein Stück oberhalb der Brücke, die über die Insula Tiberina zum Fuß des Capitolhügels führte, gab es einen Strandstreifen, der mit feinem, sonnenwarmem Sand bedeckt war. Hier bildeten die Gläubigen von Sancta Maria einen Halbkreis; die Presbyterin indessen führte die insgesamt sechs Täuflinge ein Stück in den hier gemächlich fließenden Strom hinein. Als ihnen das Wasser bis zu den Oberschenkeln reichte, blieben sie stehen, und jetzt vollzog Calpurnia das Sakrament nach biblischem Vorbild.
    Zuerst taufte sie das älteste Mitglied der Gruppe: einen ungefähr sechzigjährigen verwitweten Mann, der im vergangenen Jahr zusammen mit der Familie seines Sohnes aus einem abgelegenen Dorf in den Albanerbergen nach Rom gekommen war und sich in Trans Tiberim niedergelassen hatte. Kurz darauf war er erkrankt und ins Hospital gebracht worden; dankbar für die Pflege, hatte er sich nach seiner Genesung entschlossen, den christlichen Glauben anzunehmen. Nun kniete er im Fluß nieder, damit die Presbyterin seinen Oberkörper dreimal kurz untertauchen konnte; nachdem das Ritual vollzogen war, segnete Calpurnia ihn und sprach erstmals seinen Taufnamen aus, den er von jetzt an zusätzlich führen sollte.
    Auf dieselbe Weise taufte die Presbyterin zwei Frauen und sodann, obwohl dem Alter nach nun eigentlich Branwyn an der Reihe gewesen wäre, einen achtzehnjährigen Burschen sowie ein

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