Die Bischöfin von Rom
greift. Uns allerdings träfe eine derartige Bespitzelung wenig, denn was wir heute, wie ich hoffe, beschließen, soll ohnehin schon morgen in ganz Rom öffentlich gemacht werden …«
»Aber was ist, wenn der Patriarch darauf verfällt, seine thrakischen Mordbrenner auf uns zu hetzen?!« rief ein älterer arianischer Presbyter.
»Es würde ihnen nicht gelingen, ungesehen hierher vorzudringen«, erwiderte Silvia. »Sicherheitshalber veranlaßte ich, daß alle Straßen, die in das hiesige Viertel führen, von zuverlässigen Mitgliedern meiner Gemeinde beobachtet werden, und man würde uns bei Gefahr bestimmt rechtzeitig verständigen.«
Silvia wartete ab, bis wieder Ruhe unter den aufgestörten Versammlungsteilnehmern eingekehrt war, dann kam sie auf das zurück, was sie eingangs gesagt hatte: »Wir alle bemühen uns in unseren Kirchensprengeln, die Werte, die Jesus lehrte, hochzuhalten und sie im täglichen Leben zu verwirklichen. Ein besonderes Vorbild ist uns darin die Gemeinde Sancta Maria mit ihrer Schule, dem Hospital, dem ambulanten Dienst zur Versorgung der Alten und dem Waisenhaus, das dank der Tatkraft Theodoras erst kürzlich zehn weitere elternlose Kinder aufnehmen konnte. Doch auch anderswo in der Stadt sind gerade in letzter Zeit derartige Einrichtungen entstanden, und zusätzliche befinden sich in Planung. Diese sozialen Stätten ermöglichen es, das Nächstenliebegebot Jesu in die Tat umzusetzen; jeder Bedürftige, egal ob Christ, Jude oder Heide, findet dort Aufnahme, denn vor Gott, so predigte Jesus, sind alle Menschen gleich.«
Bislang hatte die Presbyterin von Sancta Praxedis eher verhalten gesprochen, jetzt wurde ihre Stimme lauter: »Liberius hingegen setzt alles daran, dieses von Gott gewollte Miteinander zu zerstören! Es begann bereits bei seiner Rückkehr aus dem Exil vor knapp drei Jahren, als er gleich einem Kriegsherrn in Rom einzog und es so augenscheinlich darauf anlegte, seinen Machtanspruch zu demonstrieren, daß es aufgrund dieser Provokation um ein Haar zum Blutvergießen gekommen wäre. Kaum hatte er von neuem den Lateranpalast bezogen, vernichtete er die arianische Gemeinde von Sancta Magdalena und setzte ähnliche Anschläge gegen andere Kirchensprengel ins Werk, die sich dem Patriarchat nicht unterwerfen wollten. Um das Volk zu verdummen und es dadurch um so leichter gängeln zu können, förderte er abscheulichen und mit der christlichen Lehre nicht zu vereinbarenden Aberglauben in Form der Reliquienanbetung. Erst vor einigen Wochen schließlich krönte er alle diese Verbrechen durch das Massaker in Sancta Maria Maiora, und es kann überhaupt kein Zweifel bestehen, daß er längst seine nächste und vielleicht noch schrecklichere Untat plant. Denn Liberius will in dieser Stadt und damit im gesamten Weströmischen Reich die Alleinherrschaft des Katholizismus – und das würde bedeuten: absolute Macht für ihn und seine Nachfolger!«
»Nie darf das geschehen!« – »So etwas wäre das Ende des wahren christlichen Glaubens!« – »Nachfolge Jesu ohne Toleranz ist undenkbar!« – »In den Kirchengemeinden muß Platz für alle Menschen guten Willens sein!« – »Christus war Jude, pflegte Freundschaft zu Heiden und grenzte niemanden aus!« – »Wer nach weltlicher Herrschaft und Unterdrückung Andersdenkender trachtet, verrät alles, wofür der Gekreuzigte stand!« – »Als Petrus in Rom weilte, gründete er kein Patriarchat!« – »Erst seit Beginn unseres Jahrhunderts versuchen sich gewisse Machtlüsterne über die frei gewählten Presbyter und Bischöfe unseres Landes, die nach alter Tradition bescheiden leben, aufzuwerfen!« – »Liberius aber ist der schlimmste von allen, die je im Lateran saßen: ein Mörder, Brandstifter und Verräter am Geist der Evangelien!«
Von allen Seiten kamen die empörten Ausrufe; erst als Silvia die Hand hob, legte sich der Aufruhr wieder, und die Presbyterin von Sancta Praxedis fand Gelegenheit, in ihrer Rede fortzufahren: »Ich sehe, wir sind uns einig darin, daß den kriminellen und glaubensfeindlichen Umtrieben des Patriarchats ein Riegel vorgeschoben werden muß! Um dies zu erreichen, haben wir uns heute hier versammelt, und in Abstimmung mit verschiedenen Priesterinnen und Priestern anderer Gemeinden, die alle unter uns sind, möchte ich euch nun einen Vorschlag machen, auf welche Weise wir wirksamen Widerstand leisten können …«
Erstaunt blickte Branwyn auf. Silvia, mit der sie sonst so vertraut war, hatte ihr
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