Die Bischöfin von Rom
gegenüber nichts von diesen besonderen Vorgesprächen erwähnt. Gleich darauf, als sie die nächsten Sätze der zu ihrer Rechten sitzenden Presbyterin vernahm, wunderte sie sich noch mehr, denn was Silvia jetzt sagte, besaß höchste Brisanz: »Laßt uns die usurpierte Macht des Patriarchen von Rom beschneiden, indem wir ein eigenes geistliches Bollwerk gegen ihn aufrichten! Dies ist uns nach überliefertem Kirchenrecht möglich – nämlich dann, wenn verschiedene Gemeinden übereinkommen, sich zu einem Bund zusammenzuschließen und gemeinsam eine Bischöfin oder einen Bischof zu wählen!«
Während diejenigen, die eingeweiht gewesen waren, nickten, malte sich auf den Gesichtern der anderen zunächst Verblüffung; gleich darauf fand die Anregung der Presbyterin von Sancta Praxedis begeisterten Beifall.
Branwyn beugte sich zu Silvia und flüsterte ihr zu: »Sofern wir das in die Tat umsetzen könnten, hätten wir tatsächlich eine sehr scharfe Waffe gegen Liberius in der Hand! – Nur«, sie zögerte kurz, »warum hast du mir gegenüber bisher geschwiegen?«
»Nicht, um dich zurückzusetzen«, raunte Silvia. »Sondern …«
Die Presbyterin von Sancta Praxedis wurde unterbrochen, weil sich im selben Augenblick eine Gemeindevertreterin vom Viminalhügel Gehör verschaffte und sich an sie wandte. »Falls es nach mir ginge«, verkündete die etwa fünfzigjährige, auf gutmütige Art resolut wirkende Frau, »so wäre ich dafür, nicht lange zu fackeln und die Bischofswahl gleich an Ort und Stelle durchzuführen. Ich vermute aber, daß sich dies leider nicht so einfach übers Knie brechen läßt und wir statt dessen gewisse Richtlinien beachten müssen. Da jedoch ich und bestimmt auch andere einfachere Geister hier wenig von den kirchenrechtlichen Bestimmungen wissen, die du erwähntest, möchte ich dich bitten, uns die Sache genauer zu erläutern.«
»Es ist gut, daß du nachfragst, Cloelia«, antwortete Silvia lächelnd. »Denn vorhin, als ich vom überlieferten Kirchenrecht sprach, drückte ich mich wohl mißverständlich aus. Ich meinte nämlich nicht irgendwelche juristischen Vorschriften, wie sie in den Kanzleien des Patriarchats ausgebrütet werden; vielmehr können wir uns auf eine seit dem ersten Jahrhundert bezeugte urchristliche Tradition berufen …«
»Und damit auf die ehrwürdigsten Wurzeln unseres Glaubens!« warf der arianische Presbyter ein, der zu Beginn der Versammlung vor einem möglichen Anschlag der päpstlichen Söldner gewarnt hatte.
»So ist es!« bestätigte Silvia, dann deutete sie auf das Mosaik an der Wand des Altarraumes, das die eindrucksvolle Gestalt Petri zeigte, und erklärte: »Christentum wie es diejenigen lehrten, die Jesus noch persönlich gekannt hatten, bedeutete absolute Freiheit der Gläubigen. Die Getauften jeder Gemeinde besaßen das Recht, sich ihre Priester ganz nach eigenem Gutdünken und ohne jede Einmischung von außen zu wählen – und so wird es ja bis heute in jenen Kirchensprengeln gehalten, über die das Patriarchat bislang noch keine Macht gewonnen hat. Was jedoch in den vergangenen Zeiten für die Wahl der Presbyter galt, traf ebenso auf die Einsetzung von Bischöfen zu; auch sie wurden früher stets durch direkte Akklamation der Gläubigen ernannt. Dies geschah dann, wenn verschiedene Gemeinden übereingekommen waren, sich zu einem größeren Miteinander zusammenzuschließen; deren Mitglieder bestimmten eine Priesterin oder einen Priester aus ihrer Mitte dazu, sie als Bischöfin, beziehungsweise Bischof zu führen …«
»Wenn ich dich richtig verstehe, heißt das, daß es in einer Stadt wie Rom unter Umständen mehrere Bischöfe gleichzeitig geben konnte, oder?« unterbrach Cloelia.
»Dies war tatsächlich häufig der Fall«, nickte Silvia. »In den alten Dokumenten, die in den seit Anbeginn bestehenden Kirchensprengeln aufbewahrt werden, ist das eindeutig überliefert. Es gab Zeiten, da in Rom drei oder vier Bistümer friedlich nebeneinander existierten, und dies blieb so bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts …«
»Dann aber begann der unheilvolle Aufstieg des Patriarchats!« Der grimmige Zwischenruf kam abermals aus dem Mund des bewußten arianischen Presbyters. »Eine Gruppe verräterischer Theologen, denen ungleich mehr an ihrer persönlichen Macht als an der Verkündigung der Evangelien lag, suchte den Pakt mit dem Kaisertum und schaffte es unter Konstantin, daß das Christentum zur Staatsreligion proklamiert wurde. Anno
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