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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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fügte sie entschlossen hinzu: »Trotzdem muß ich morgen nach Sancta Praxedis gehen! Ich riskiere dabei nicht mehr als die anderen, und ich will sie nicht im Stich lassen …«
    »Ja, ich habe Angst um dich!« fiel ihr Acacius ins Wort. »Der Gedanke, daß dir etwas zustoßen könnte, ist mir unerträglich!«
    »Aber was sollte denn passieren?« versuchte Branwyn ihn zu beruhigen. »Nur ein paar Dutzend Eingeweihte wissen von dem Treffen. Wir alle haben Stillschweigen vereinbart, und genaugenommen hätte ich noch nicht einmal mit dir darüber reden dürfen. Wie also sollte ein Unberufener davon erfahren haben?«
    »Das Patriarchat hat seine Spitzel überall!« beharrte Acacius. »Und falls Liberius Wind von der Zusammenkunft bekommen hat, könnte er so brutal vorgehen wie in Sancta Maria Maiora …«
    Branwyn zuckte zusammen; Acacius zog sie an sich und sagte in drängendem Tonfall: »Siehst du, das hast du nicht bedacht! Obwohl du weißt, wozu der Papst fähig ist! Deshalb bitte ich dich: Sorge dafür, daß die Versammlung abgesagt wird! Am besten tust du es gleich auf der Stelle! Die Gefahr ist zu groß!«
    Für einen Moment war Branwyn versucht, nachzugeben. Wieder glaubte sie die vielen Toten und Schwerverletzten auf dem Platz vor der Basilika nördlich des Esquilin vor sich zu sehen. Doch dann schüttelte sie den Kopf und erklärte: »Ich kann nicht tun, was du von mir verlangst! Denn es würde die kampflose Kapitulation vor dem Patriarchat bedeuten!«
    Seine dunklen Augen waren ihr ganz nahe. Sie sah die Enttäuschung in ihnen; Enttäuschung und etwas wie mühsam unterdrückten Zorn, der sie erschreckte. Unvermittelt hatte sie das Gefühl, als hielte ein Fremder sie in seinen Armen. In einer instinktiven, fast panischen Regung suchte sie seinen Mund; mit dem nächsten Lidschlag, weil er ihren Kuß leidenschaftlich erwiderte, verwich das beklemmende Empfinden. Wie befreit gab sie sich dem Rausch hin, den seine Begierde in ihr auslöste; sein wildes Begehren, das sie mitriß, bis sie ihm stammelnd zu verstehen gab, daß sie auf der Stelle genommen werden wollte. So wie damals im Quellhain, wo sie zum erstenmal eins geworden waren, hob er sie hoch und trug sie zum Bett; gleich darauf zählte nur noch ihre Lust, die sie alles andere vergessen ließ.
    Spät in der Nacht schliefen sie erschöpft ein; am folgenden Morgen versuchte Acacius nicht noch einmal, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Allerdings bat er Branwyn, sehr vorsichtig zu sein und auch die übrigen Teilnehmer der Zusammenkunft auf das Risiko aufmerksam zu machen, das sie eingingen. Er selbst, so versprach er, werde sich den ganzen Tag im Patriarchat aufhalten und sie sofort warnen, falls es irgendwelche Anzeichen dafür gebe, daß Liberius einen Anschlag plane.
    Branwyn war ihm dankbar dafür; zärtlich verabschiedete sie sich von Acacius und begab sich nach Trans Tiberim. Wie jeden Sonntag feierte sie den Gottesdienst mit den Menschen ihrer Gemeinde und nahm danach das Mittagessen im Atriumhaus ein. Anschließend machte sie sich auf den Weg zum Esquilin und kam am frühen Nachmittag in Sancta Praxedis an.
    ***
    Ein Teil der Geladenen hatte sich bereits im Gotteshaus versammelt; die meisten von ihnen kannte Branwyn persönlich, die anderen stellte Silvia ihr vor. Etwas überrascht bemerkte die junge Presbyterin von Sancta Maria, welch großes Interesse ihrer Person entgegengebracht wurde, und das blieb so, während nun nach und nach auch die restlichen Teilnehmer eintrafen. All die Priesterinnen, Priester und sonstigen Abgesandten der verschiedenen Kirchensprengel richteten freundliche Worte an sie, ehe sie ihre Plätze einnahmen; zuletzt, nachdem sich die etwa vierzig Personen auf den im Kreis angeordneten Bänken niedergelassen hatten, eröffnete Silvia das Treffen.
    »Wir haben uns hier, wo in Gegenwart Petri einst Juden, Christen und Heiden gemeinsam beteten, zusammengefunden, um dieses urchristliche Vermächtnis des friedlichen Miteinander zu verteidigen«, begann sie. »Wer den Geist der Toleranz und damit die Lehre Jesu bedroht, brauche ich euch nicht zu erklären; nur soviel: Unsere Schwester Theodora, die ihr hier neben mir sitzen seht, überbrachte mir vorhin, als sie nach Sancta Praxedis kam, eine Warnung, wonach das Patriarchat Spione auf uns angesetzt und Wind von unserer Versammlung bekommen haben könnte. Falls es sich tatsächlich so verhält, hätte sich Liberius einmal mehr als ein Mensch entlarvt, der zu despotischen Mitteln

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