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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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dreihundertdreizehn erließ der Imperator die entsprechenden Edikte, und ab jenem verhängnisvollen Jahr arbeiteten diejenigen, die jetzt im Lateranpalast residierten, mit immer skrupelloseren Mitteln auf ihre Alleinherrschaft hin!«
    »Weder Liberius noch seine Vorgänger, die zumeist Angehörige sehr reicher Adelsfamilien waren, stellten sich einer freien Wahl durch die Gläubigen«, nahm wiederum Silvia das Wort. »Seit man die Institution des Patriarchats vor ungefähr fünfzig Jahren etablierte, wurde das Patriarchenamt also stets von Männern besetzt, denen im Grunde genommen jegliche Legitimation fehlte, als römische Kirchenoberhäupter zu fungieren. Einzig mit Hilfe der Machtmittel, über die sie verfügten, warfen sie sich zu vorgeblichen Nachfolgern Petri auf und behaupteten, es sei ihnen von Gott aufgegeben worden, Gewalt über sämtliche Gemeinden des Weströmischen Reiches auszuüben. Damit ihnen dies freilich gelingen konnte, mußte mit den früheren Traditionen gebrochen werden – deshalb kam in unserem Jahrhundert der urchristliche Brauch der Bischofswahlen durch das Volk ab. Das Recht, ihre Presbyter und Bischöfe durch freie Willensentscheidung zu bestimmen, besitzen die römischen Kirchensprengel jedoch nach wie vor. Denn es wurde ihnen von jenen übertragen, welche die ersten christlichen Gemeinden gründeten, und zudem hat selbst Kaiser Konstantin es in keinem seiner Erlasse bestritten.«
    Silvia machte eine Pause, damit Cloelia und die anderen Delegierten, denen diese Dinge weniger vertraut waren, das Gehörte verarbeiten konnten, dann schloß sie: »Weil es sich aber so verhält, sind wir – oder besser: die Mitglieder unserer Gemeinden – jederzeit berechtigt, so zu verfahren, wie ich es vorgeschlagen habe. Wie Cloelia vorhin allerdings ganz richtig vermutete, müssen bei der Wahl einer Bischöfin oder eines Bischofs bestimmte Regularien beachtet werden, so daß meiner Schätzung nach ungefähr drei Monate verstreichen werden, bis die Entscheidung zwischen den verschiedenen Kandidaten fallen kann.«
    »Sage uns, wie wir im einzelnen vorgehen müssen!« forderte ein grauhaariger Abgesandter des arianischen Kirchensprengels Sanctus Andreas auf dem Quirinalhügel.
    »Das will ich gerne tun«, antwortete Silvia; gleich darauf lauschten die Anwesenden erneut gespannt ihren Ausführungen: »Der erste Schritt ist praktisch schon gemacht, denn wir alle hier, die wir die nicht vom Patriarchat abhängigen Pfarreien Roms vertreten, sind uns ganz offensichtlich darin einig, ein gemeinsames Oberhaupt zu bestimmen. Da die Bischofswahl aber nach urchristlichem Vorbild erfolgen soll, ist es nun unsere Pflicht, die Zustimmung unserer Gemeindemitglieder einzuholen. Ich schlage vor, zu diesem Zweck gleich morgen Zusammenkünfte in den verschiedenen Gotteshäusern einzuberufen; auf diese Weise wird unser Vorhaben rasch überall in der Stadt bekannt werden, und die Menschen, die sich angesichts der Despotie des Patriarchats jetzt noch hilflos fühlen, werden neuen Mut fassen …«
    »Sehr gut!« warf Branwyn ein; Silvia schenkte ihr einen warmherzigen Blick, dann fuhr sie fort: »Der nächste Schritt besteht darin, daß sich die einzelnen Kirchensprengel darüber klar werden, ob sie eigene Kandidaten für das Bischofsamt aufstellen oder zusammen mit Nachbargemeinden gemeinsame Bewerber unterstützen wollen. Weil dazu natürlich gründliche Überlegung nötig ist, sollte den Gläubigen mindestens ein Monat Zeit gelassen werden. Da wir heute den dritten Sonntag im März haben, schlage ich vor, als letzte Frist für die Benennung der Kandidaten den letzten Aprilsonntag festzusetzen; anschließend müssen die Bewerber selbstverständlich Gelegenheit haben, sich überall in der Stadt bei öffentlichen Versammlungen vorzustellen und sich außerdem in den Haushalten bekannt zu machen. Sofern wir dafür noch einmal zwei Monate ansetzen, haben wir Ende Juni. Infolgedessen sollten wir die Bischofswahl am letzten Sonntag dieses Monats durchführen – und zwar, um ein unübersehbares Zeichen zu setzen, auf dem Forum Romanum, wo sich die römischen Bürger von jeher zusammenfinden, um für das Allgemeinwohl besonders wichtige Entscheidungen zu treffen.«
    »Das ist genial! Besser könnten wir unseren Anspruch, dem Patriarchat eine eigenständige, von der Willkür des Liberius unabhängige Kirche entgegenzustellen, gar nicht dokumentieren!« rief die Presbyterin einer Gemeinde im Palatinviertel. Andere äußerten sich

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