Die Bischöfin von Rom
wahre Christentum nicht nur in Rom und Italien, sondern überall dort, wohin die Macht von Patriarchat und Kaiser reicht, untergehen«, stimmte Danyell zu. »Finsternis würde sich vermutlich auch über Britannien senken, und das friedliche Zusammenleben zwischen Heiden und Getauften in unserem Land, das sich jahrhundertelang bewährte, wäre dann nicht länger möglich.«
»Das dürfen wir niemals zulassen!« brach es aus Branwyn heraus.
»Wir denken genauso wie du«, pflichtete der Priester ihr bei. »Aber hier, im äußersten Westen des römischen Reiches, sind uns letztlich die Hände gebunden. Die christlichen Gemeinden, die es bei uns gibt, besitzen keinerlei Einfluß in Rom; wir können nur beten und auf die Hilfe Gottes hoffen.«
»Andererseits könnte die Abgeschiedenheit, in der wir leben, uns schützen«, warf Saray ein. »Zumindest zu unseren Lebzeiten noch, doch was möglicherweise danach kommt …«
»Unter gar keinen Umständen dürfen wir den Mut verlieren und den Kopf in den Sand stecken«, sagte Bendigeida entschlossen. »Vielmehr sollten wir versuchen, mehr über die Geschehnisse in Italien zu erfahren, damit wir uns im Notfall rechtzeitig wappnen können.«
»Wir werden unseren gallischen Glaubensbruder in einem Brief bitten, uns weiterhin auf dem laufenden zu halten«, versprach Danyell, »und sobald wir Antwort bekommen, werden wir euch Druidinnen selbstverständlich davon in Kenntnis setzen.«
Anschließend drehte sich das Gespräch um alltäglichere Dinge, dennoch blieb die Stimmung im Haus des Priesterehepaares den ganzen Abend über gedrückt. Nachdem man sich voneinander verabschiedet hatte, kehrten Branwyn und Bendigeida zum Apfelhain zurück und tauschten sich dabei noch einmal über die Entwicklung in Rom aus.
Zuletzt dann, als Branwyn in ihrem Rundhaus unter den Decken lag, erinnerte sie sich plötzlich an einen bestimmten Tag ihrer Wanderung mit Eolo Goch; sie waren damals auf das Römerkastell und den Vicus gestoßen, die in einer Schleife des Flusses Gwy lagen. Der Barde hatte ihr von den versklavten keltischen Ordovikern erzählt, die unter der Knute christlicher Aufseher fronen mußten; ähnlich empört wie heute die Pendruid hatte Eolo von der römischen Staatskirche gesprochen, die derartige Menschenverachtung duldete. Nun glaubte Branwyn erneut, dieses Militärlager vor sich zu sehen; eine dunkle Bedrohung ging von ihm aus – und verfolgte sie in dieser Nacht bis in ihre Träume.
***
Am nächsten Morgen freilich lag die Ynys Avallach wieder in strahlendem Sonnenschein da, und in der Schule warteten die Kinder auf sie, so daß Branwyn die Nachtmahre vergaß. Im Unterricht sprach sie über das Fest Lugnasad, das man schon in Bälde begehen würde, und kündigte den Kleinen an, zu diesem Anlaß Kronen aus goldfarbenem Stroh mit ihnen zu basteln, die sie während der Feierlichkeiten zu Ehren des Sonnengottes Lug tragen könnten.
Wenige Wochen später war es soweit. Ganz wie auf der Ynys Vytrin brachten die Bewohner der Insel von Avalon gemeinsam die Ernte ein, die in diesem Jahr rechtzeitig zu Lugnasad ausgereift war, ließen ein besonders schönes Kornbüschel als Dank an die Erde und Gabe für die Vögel auf den Feldern stehen und droschen das Getreide. Am ersten Tag des achten Sonnenmonats dann trafen Frauen, Männer und Kinder aus den verschiedenen Ansiedlungen sich im Apfelgarten und zogen unter Führung der Druidinnen auf einem besonderen Pfad um das Eiland. Am Ende erreichte die Prozession abermals den Hain; die Teilnehmer begaben sich zuerst zur Heiligen Quelle und bestiegen sodann den Hügel, der sich über der Obstbaumpflanzung erhob. An beiden Orten fanden eindrucksvolle Zeremonien statt, die von Bendigeida geleitet wurden; danach zerstreuten sich die Insulaner wieder, um in ihre Dörfer zurückzukehren, wo sie bis spät in die Nacht ausgelassen feierten.
Die Monate nach Lugnasad verstrichen in ruhigem Gleichmaß; langsam ging der Sommer in die kühlere Jahreszeit über, und das Laub der Bäume färbte sich bunt. Eines Nachts erwachte Branwyn, weil der erste Herbststurm über den See und die Ynys Avallach heulte. Neuerlich hatte sie für einen Augenblick das Gefühl, von etwas Bedrohlichem heimgesucht zu werden, aber wenig später, als sie sich der Wärme und Geborgenheit unter dem Reetdach ihres Hauses bewußt wurde, schlief sie wieder ein.
Am folgenden Tag war der Himmel grau verhangen; immer wieder fegten Regenschauer, die der Wind von Westen herantrieb,
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