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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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und Branwyn. Aber nur Dyara hatte einen Feuerbrand bei sich, so daß die heilige Neunzahl, welche die kosmische Erscheinungsform der Dreifachen Göttin symbolisierte, gewahrt blieb.
    Am Fuß des Twr blieben die Druidinnen stehen und brachten ihr Fühlen und Denken in Einklang mit seinem andersweltlichen Wesen; erst nachdem dies geschehen war, traten sie den Aufstieg über den Drachenpfad an. Dreimal umrundeten sie die Hügelflanken, bis sie zuletzt das Plateau erreichten und im ungewissen Schein des in diesem Moment hinter den Wolken hervortretenden Sichelmondes den Hohen Stein vor sich sahen. Langsam näherten sie sich dem Menhir und umkreisten ihn entgegen des Sonnenlaufes ebenso oft wie zuvor den Twr; jedesmal wenn sie dabei an dem gezackten Felsriß vorüberkam, glaubte Branwyn, einen lautlosen Ruf aus der Tiefe zu vernehmen.
    Das stimmlose Hallen verstärkte sich, als die Frauen sich um die Stelle versammelten, wo der Riß sich zu einer mehrere Ellen breiten Spalte erweiterte, und ihre Fackeln in Felsritzen zu beiden Seiten der Kluft steckten. Dann sank Branwyn ebenso wie die anderen auf die Knie und ergriff dabei die Hände ihrer Nachbarinnen; links von ihr befand sich Dyara, rechts Bendigeida. Während der gemeinsamen Anrufung Ceridwens, die jetzt folgte, spürte Branwyn, wie die Kraft des Miteinander sie durchströmte und mit jedem Atemzug stärker wurde; schließlich hatte sie unvermittelt das Gefühl, bereit für den Abstieg zu sein.
    Im selben Augenblick, da sie die Regung empfand, erhob sich die Pendruid, legte, ohne einen Feuerbrand mitzunehmen, die wenigen Schritte bis zur Öffnung im Fels zurück und ließ sich in den Spalt gleiten. Mit angehaltenem Atem beobachtete Branwyn, wie der Körper Bendigeidas verschwand; gleich darauf stand sie zusammen mit Dyara selbst dort, wo eben noch die Pendruid gewesen war. Als sie sich niederkauerte, vernahm sie eine leise Ermunterung ihrer Freundin; im nächsten Moment tasteten ihre Füße nach den Tritten im Gestein, und wiederum einige Herzschläge später war undurchdringliche Dunkelheit um sie.
    Einzig die Geräusche weiter unten und über ihrem Kopf zeigten Branwyn an, daß sie nicht allein war; sie wußte: Bendigeida kletterte voraus, und Dyara folgte in kurzem Abstand. Dennoch mußte sie all ihre geistige Kraft aufbieten, um in der Finsternis, die einen scheinbar bodenlosen Abgrund verbarg, nicht in Panik zu geraten. Sie bemühte sich, die in der Schwärze verborgene Wärme und Güte der Göttin zu erkennen; vor allem dies war es, was sie tiefer und tiefer trug. Nur weil sie sich dem Willen Ceridwens bedingungslos anvertraute, schaffte sie es, ihre kreatürliche Furcht zu überwinden; mit einem Mal dann verwandelte ihre Anspannung sich in das Gefühl grenzenloser Geborgenheit – und mit demselben Lidschlag wich auch die Dunkelheit.
    Der enge Schlund, durch den die junge Frau sich gekämpft hatte, öffnete sich in eine große Grotte. Im Schein einer Reihe auf einem Steinsims angeordneter Öllampen, die offenbar schon vorher entzündet worden waren und deren feiner Rauch durch eine portalartige Nische in der dahinterliegenden Wand abzog, erkannte Branwyn Stalagmiten und Stalagtiten von zeitloser Schönheit, deren Spitzen sich an manchen Stellen berührten. Entlang dieser Kalksteinsäulen rieselte Wasser und winzige Rinnsale speisten einen Teich in der Mitte des Höhlenbodens, dessen Oberfläche in bläulichen und rötlichen Farbtönen irisierte.
    Am Ufer des unterirdischen Gewässers wartete Bendigeida; nun gab sie Branwyn ein Zeichen, zu ihr zu kommen. Kaum stand die junge Frau neben der Pendruid, erschien im Ausstieg der Kluft Dyara; ihr folgten in regelmäßigen Abständen die sieben übrigen Druidinnen. Nachdem alle versammelt waren, bildeten sie einen Kreis um den Teich und faßten sich bei den Händen; ganz wie oben auf dem Twr riefen sie neuerlich die Göttin an. Sie beschworen die verschleierte Gestalt Ceridwens, welche in dieser Erscheinungsform die Hüterin der Brücke zwischen Diesseits- und Anderswelt war. Machtvoll hallten die heiligen Worte in der Grotte wider, steigerten sich in ihrer dreifachen und sodann neunfachen Wiederholung – bis sich plötzlich der Spiegel des von den flackernden Öllichtern beleuchteten Gewässers zu kräuseln begann.
    Gebannt blickte Branwyn auf die Erscheinung; Zeit, die nicht länger meßbar war, verstrich; unvermittelt wurde aus dem changierenden Farbenspiel ein gleißend schwarzer Sog, der in schmetternden

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