Die Bischöfin von Rom
vierzigjährigen Fernhändler mit dem dunklen Kraushaar und den durchdringenden Augen als tatkräftigen Mann kennen- und schätzen gelernt; ein besonderer Charakterzug an ihm behagte ihr allerdings weniger.
Denn Paulinus hing einer Art des Christentums an, das sich vom Glauben der Getauften in Britannien grundlegend unterschied. Wo jene sich bemüht hatten, ihren Mitmenschen Nächstenliebe entgegenzubringen, huldigte der Kaufmann einem seltsamen Reliquienkult, der sich nach Einschätzung der jungen Frau nicht mit der Lehre Jesu vereinbaren ließ. Aber Paulinus bestand darauf, daß die vermoderten Gebeine, die sich in einem schwarzen Holzkasten auf dem Rücken eines an seiner Seite dahintrottenden Maultieres befanden, Heilsbringer von herausragender Wunderkraft seien, da die Seelen der Märtyrer, denen sie nach seinen Worten einst gehört hätten, mittlerweile zur Rechten Gottes im Paradies weilten. Auf so manchem Marktplatz zwischen Samarobriva und Lutetia hatte der Kaufherr dies verkündet und zumeist einträgliche Geschäfte mit den Knochen gemacht; vor allem dann, wenn er sie vor dem Verkauf mit einem großen silbernen Kruzifix in Berührung gebracht hatte, das er auf der Brust trug und in welches – ihm zufolge – ein Splitter vom Kreuz Christi eingelassen war.
In der Erinnerung an derartige Szenen preßte Branwyn angewidert die Lippen zusammen; im nächsten Moment fesselte eines der zwei Dutzend schwer beladenen Lasttiere, die sich zwischen der Leibwache des Paulinus Lupus und dem Planwagen befanden, ihre Aufmerksamkeit. Das Muli bockte plötzlich; seine Last, die aus zwei Fässern mit Seehundstran von der Küste bestand, drohte zu Bruch zu gehen. Der Treiber bemühte sich, das Tier wieder zur Vernunft zu bringen; während er es zu bändigen versuchte, wurden auch die übrigen Maulesel unruhig. Teils schleppten sie ebenfalls Tranfässer, deren Inhalt später als Lampenöl Verwendung finden sollte; teils Packen gegerbten Leders oder Ballen von Rohwolle, wie Branwyn sie bereits an Bord des Schiffes gesehen hatte, mit dem sie nach Gallien gekommen war.
Jetzt, weil das ungebärdige Muli die Straße noch immer blockierte und der Fuhrmann deshalb anhalten mußte, stauten sich die hinter dem Planwagen laufenden Saumtiere. »Was ist denn los, Marcus? Willst du etwa kurz vor Lutetia noch einmal eine Pause einlegen, um für deine hübsche Begleiterin etwas Schönes zu brutzeln?« rief einer der Männer, welcher links und rechts je einen Lastesel führte.
»Das fragst du doch nur, weil du von allen hier am verfressensten bist«, gab der Fuhrmann, der die Nahrungsmittelvorräte des Handelszuges transportierte und zudem als Koch fungierte, zurück. »Aber du wirst dich wohl oder übel bis zur Ankunft in der Stadt gedulden müssen.«
Kaum hatte Marcus den Eselstreiber zurechtgewiesen, kam die weiter vorne ins Stocken geratene Karawane wieder in Bewegung. Auch der Küchenwagen rumpelte weiter, und die Kette der ungefähr zwanzig Tragtiere, die ihm folgten, zog sich von neuem auseinander. Branwyn sah die schweren Lasten – abermals Fässer, Lederpacken, Wollballen und dazu Bündel von Rohmetallstäben, Säcke mit Bienenwachs oder dick umflochtene Metkrüge – auf den Rücken der Vierbeiner schwanken. Ganz am Ende erblickte sie einen zweiten Trupp bewaffneter Reiter: den Nachtrab, der zusammen mit der Gruppe um Paulinus Lupus für den Schutz des Kaufmannszuges verantwortlich war.
Bisher freilich, obwohl die Handelskarawane auf ihrem zehntägigen Weg von Samarobriva nach Süden mehrere von herumstreifenden Frankenkriegern zerstörte Gehöfte passiert hatte, war der Marsch friedlich verlaufen. Nun, während das Pferdegespann die langgestreckte Straßenkehre hinter sich brachte, hoffte die junge Frau, daß es auch im Verlauf der folgenden Monate so bleiben würde. Doch zunächst durfte sie die einwöchige Rast in Lutetia genießen, wo ab morgen ein großer Frühlingsmarkt stattfinden sollte. Wie Marcus erzählt hatte, strömten die Menschen aus diesem Anlaß von weither in die Stadt, und am letzten Tag würde zudem ein großes Fest steigen. Als Branwyn daran dachte, lächelte sie voller Vorfreude; wenig später erreichte der Planwagen die Anlegestelle der Fähre zwischen einer Gruppe keltischer Rundhäuser am nördlichen Flußufer, und jetzt konnte die junge Frau es kaum noch erwarten, zu den beiden durch Brücken miteinander verbundenen Inseln überzusetzen.
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Die Woche in der nordgallischen Metropole brachte
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