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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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darauf setzte sich die Karawane wieder in Bewegung und erreichte wenig später das Kastell. Über eine der beiden sich rechtwinklig kreuzenden Lagerstraßen und an schmucklosen, barackenartigen Soldatenunterkünften vorbei rollte der Planwagen ins Zentrum des Militärlagers, wo sich das zweistöckige Quartier des Centurio befand. Nachdem der Befehlshaber der hundert Legionäre, die in Divio in Garnison lagen, auf die junge Frau aufmerksam geworden war und zudem erfahren hatte, daß sie ein Empfehlungsschreiben des Tribuns Flavius Claudius Julianus besaß, lud er sie ein, unter seinem Dach zu wohnen. Ebenso wie der Kaufherr bekam sie ein bequem eingerichtetes Zimmer, wo eine Dienerin ein Wannenbad für sie zubereitete; danach, beim gemeinsamen Abendessen, lernte sie die Gemahlin und die halbwüchsigen Kinder des Offiziers kennen und verstand sich auf Anhieb mit ihnen.
    Ende Juli war der Handelszug im Fort angekommen; eigentlich hatte Paulinus Lupus die Weiterreise bereits nach einer Rast von wenigen Tagen antreten wollen. Weil aber die Pflugscharen, Beile, Sägen und Schaufelblätter, die er als Bezahlung für den Branntwein bekommen sollte, von dem einzigen Schmied im Vicus noch längst nicht fertiggestellt waren, wurde es fast Mitte August, ehe die Lasttiere neuerlich beladen werden konnten. Da ihm die Verzögerung peinlich war, kommandierte der Centurio eine zehn Mann zählende Einheit unter dem Befehl eines der Unteroffiziere ab, welche den Auftrag bekam, die Karawane durch die breite Flußebene östlich von Divio zu eskortieren und sie vor etwaigen Übergriffen fränkischer Raubbanden zu beschützen, die dort zuzeiten herumstreiften.
    Letztlich allerdings erwies sich diese Vorsichtsmaßnahme als überflüssig, denn im Verlauf des einwöchigen Marsches ins Hügelland jenseits des ausgedehnten Tieflandes kam es zu keinem einzigen gefährlichen Zwischenfall. Es blieb selbst dann ruhig, als der Strom auf provisorisch gezimmerten Flößen überwunden werden mußte, und angesichts der damit verbundenen Schwierigkeiten ein Angriff auf die Saumtiere mit ihren wertvollen Lasten besonders leicht gewesen wäre. Trotzdem waren die Mitglieder des Handelszuges den Legionären dankbar für ihre Gegenwart. Mehr als einmal stießen sie nämlich auf ausgeplünderte und niedergebrannte Gehöfte, und am vorletzten Tag machte einer der Soldaten unweit einer solchen Ruine am Rand eines Wäldchens eine gräßliche Entdeckung.
    Unter einem Gestrüpp lagen, nur notdürftig verscharrt, die Skelette von drei Erwachsenen und einem Kind; man hatte die Bedauernswerten, deren Schädeldecken allesamt eingeschlagen waren, bestialisch ermordet. Die Untat freilich mußte schon vor längerer Zeit geschehen sein; der Decurio der Begleittruppe schätzte, daß das Verbrechen mindestens ein halbes Jahr zurücklag und die Täter daher längst weitergezogen waren.
    Branwyn empfand tiefes Mitleid mit den Opfern; ihre Betroffenheit war um so größer, als sie kurz vor der Weiterfahrt beobachtet hatte, wie Paulinus Lupus unter dem Vorwand, die Gebeine mit Erde bedecken zu wollen, heimlich einige der Knochen in ein Tuch gehüllt und zu sich gesteckt hatte. Schon gleich zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatte die junge Frau sich abgestoßen gefühlt, wenn sie den Kaufherrn, um dessen Nacken das silberne Kruzifix hing, mit den vorgeblichen Reliquien hantieren sah; jetzt wußte sie zudem, daß er ein Betrüger war. Andererseits besaß Paulinus durchaus seine guten Seiten und hatte sich ihr gegenüber nie etwas zuschulden kommen lassen, weshalb Branwyn, die schließlich nach wie vor auf ihn angewiesen war, auch diesmal schwieg.
    Am nächsten Nachmittag, als sie den Saum des Hügellands jenseits der Stromebene erreichten und in der Ferne erstmals das Filigran der Hochgebirgsketten zu erahnen war, faßte die junge Frau, die bis dahin noch immer bedrückt gewirkt hatte, frischen Mut. Denn Marcus sagte ihr: »Die Grajischen Alpen, welche dort vor uns liegen, sind die letzte Barriere, die uns von Italien trennt. Sofern weiterhin alles gutgeht, werden wir Anfang September an ihrem Fuß anlangen und können die Überquerung rechtzeitig vor den ersten Wetterstürzen des Herbstes schaffen.«
    »Und wie weit haben wir es dann noch bis Rom?« wollte Branwyn wissen.
    »Da es jenseits des Gebirges sehr gut ausgebaute Straßen gibt, rechnen wir von der Stadt Augusta Taurinorum aus, die an den südöstlichen Ausläufern der Grajischen Alpen liegt, mit nur fünf, allerhöchstem

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