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Die Bismarcks

Die Bismarcks

Titel: Die Bismarcks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Thies
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Protest Friedrichsruh fern. Er wirft den Friedrichsruhern vor, die Verpflichtung als Treuhänder des Besitzes aus den Augen verloren zu haben. Für ihn liegt die Zäsur in der Familiengeschichte im Jahre 1945. Damals sei die »Restfamilie« aus Friedrichsruh vertrieben worden.
    Nach dem Vorbild der amerikanischen Presidential Libraries kam es 1994 zur Gründung der bundesunmittelbaren Otto-von-Bismarck-Stiftung, in die die Familie die Nachlässe ihrer Mitglieder einbrachte. Daneben setzt die Familie weiterhin eigene Akzente bei ihrem Umgang mit dem Erbe und dem Kontakt zur deutschen Öffentlichkeit. Ferdinand von Bismarck ist Schirmherr des Bismarck-Bundes, Protektor des Bismarck-Museums und der Otto-von-Bismarck-Stiftung. Die Geschichte seiner Familie und das historische Erbe sind ihm also wichtig. Das Schloss wurde vor wenigen Jahren aufwendig restauriert. Anlässlich des hundertsten Todestages des Reichsgründers wurde auch das Mausoleum renoviert. Dennoch merkt ein enger Verwandter an, Ferdinand fehle es an Geschichtsbewusstsein.
    Was den Umgang mit dem Dritten Reich angeht, so bewegt sich Friedrichsruh auch in der Gegenwart noch auf schmalem Grat, mitunter leichtfertig von den Medien in eine rechte Ecke gestellt. Der Zufall wollte es, dass der Nachfolger Hitlers, Admiral Dönitz, nach seiner Entlassung aus der Spandauer Haft in unmittelbarer Nähe von Friedrichsruh lebte: ein harter Mann ohne Einsicht in den schuldhaften Beitrag, den er als Oberbefehlshaber der Marine und Durchhaltefanatiker während des Dritten Reichs geleistet hatte. Aber Dönitz kommt unweigerlich gedanklich ins Spiel, wenn in Friedrichsruh an den Untergang des Schlachtschiffes »Bismarck« erinnert wird, den Otto von Bismarck, der Vater des amtierenden Fürsten, 1941 in Italien verfolgte. Die Überlebenden des Dramas, Briten und Deutsche, treffen sich alljährlich am Sitz der Familie und werden vom Fürsten empfangen.
    Ferdinands ältester Sohn, Carl-Eduard Graf von Bismarck, trat im Jahr 2002 in die Fußstapfen seiner Vorfahren und kandidierte für den Deutschen Bundestag. Er unterlag jedoch einem SPD -Bewerber. 2005 rückte er für Peter Harry Carstensen nach, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein geworden war, zwei Jahre später gab er das Mandat jedoch wieder auf. Nun konkurriert er um das Erbe mit seinem jüngsten Bruder. Nach längerem Rechtsstreit entschied ein Gericht in Magdeburg im März 2011, dass der Familie Ausgleichszahlungen für die Enteignung von Schönhausen während der sowjetischen Besatzungszeit zustehen.
    In der vierten Generation tun sich die Bismarcks anscheinend schwer, einen geeigneten Standort in der deutschen Gesellschaft und Öffentlichkeit zu finden. Diese macht es der Familie auch nicht leicht, registriert jeden Fehltritt in ihrem Privatleben und schiebt die Bismarcks gerne auf die bunte Seite der Tageszeitungen ab. Aber zutreffend ist auch, dass sich die Beiträge des Hauses zu den großen Fragen der Nation in engen Grenzen halten. Eine Reflexion über die Rolle des Hochadels in einer demokratischen Gesellschaft nach den Katastrophen der deutschen Geschichte fehlt. Der öffentliche Auftritt von Ann Mari und Otto in den jungen Jahren der Bundesrepublik scheint in der Rückschau übertrieben: Mehr Bescheidenheit wäre angebracht gewesen, mehr »Preußisches«. Die größere Verantwortung für die Rolle, die die Bismarcks in der heutigen Gesellschaft spielen können, trägt jedoch die Bundesrepublik. An ihr ist es, das Erbe zu pflegen. Am Ende könnte dies die Verkrampfungen auf der Familienseite und eine gewisse Unsicherheit beim Umgang mit der Öffentlichkeit lösen. Auch eine sehr wohlhabende Familie will geliebt sein, um gut gemeinten Rat von außen annehmen zu können.
    Leopold-Bill von Bredow, jüngster Sohn von Hannah von Bredow und Neffe von Otto, hat die »deutschen Substanzverluste« in seinem Diplomatenleben hautnah erlebt. Ein Schlüsselerlebnis für den Fünfjährigen bildete der Tag nach der Pogromnacht im November 1938. Das Schuhgeschäft in der Potsdamer Hauptstraße, in dem seine Mutter mit ihm und einigen Geschwistern einkaufen wollte, war völlig demoliert, die Auslagen geplündert. Das Inhaberehepaar weinte. Weinende Erwachsene hatte Leopold-Bill noch nicht gesehen, sodass sich die Szene dem Jungen nicht nur einprägte, sondern geradezu einbrannte. Die Besitzer des Schuhgeschäfts wurden später deportiert.
    Später ging der Bismarck-Urenkel in Potsdam zur Schule, vorübergehend auch

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