Die Bismarcks
eines am Himmel ziehenden Kranichpaares an die Ehe meiner Eltern.« 5
In der Tat, Gottfried von Bismarck war ein nonkonformistischer Vater. Das Leitbild des preußischen Offiziers traf auf ihn und seine Brüder nicht zu. Der Hugenottenabkömmling – seine Großmutter väterlicherseits Hedwig war eine geborene Harnier und stammte aus Hessen – war ein feingliedriger Mensch. Er hatte nicht das Gardemaß seiner pommerschen Gutsnachbarn. Gottfried hatte in England Musik studiert. Klaus erinnerte sich später an ein Haus voller Musik, an die Improvisationskünste des Vaters am Klavier, der Richard Wagner und Edvard Grieg besonders liebte, an Hauskonzerte bei den Gutsnachbarn. Darüber hinaus war Gottfried breit interessiert, weniger an der praktischen Seite der Landwirtschaft als an gesellschaftlichen Zukunftsfragen wie einer Bodenreform. Er war mit dem dänischen Atomforscher Nils Bohr und dem heute vergessenen Ingenieurwissenschaftler Erwin Fuss befreundet, und er verstand etwas von Archäologie.
Gottfried von Bismarck las daheim den Punch: Er hatte eine Vorliebe für angelsächsischen Humor. Die Liebe zu Großbritannien hatte auch zur Folge, dass er wie ein Engländer ritt und nicht wie ein preußischer Kavallerist. Bei Jagdveranstaltungen ging es über massive Steinmauern hinweg, Reiten mit Risiko. Als Kind machte Klaus später seine eigenen Erfahrungen. Auf seinem sattellosen Pony folgte er dem vorausreitenden Vater. Die zahlreichen Stürze erweckten kein Mitleid, der Junge musste die Zähne zusammenbeißen. Daheim trug Gottfried von Bismarck Homespun-Jacken und ließ sich in England einen besonderen Anzug machen. Klaus erbte ihn später, und noch heute trägt ihn einer seiner Söhne. Das mehrteilige Stück bot und bietet viele Kombinationsmöglichkeiten. Es war, wie Klaus schreibt, typisch für den Vater: elegant, pfiffig und ausgefallen.
1909 lernte Gottfried von Bismarck die bürgerliche, aus Berlin stammende Gertrude Koehn kennen. Man fühlt sich an einen ähnlichen Vorgang bei den Schönhausener Bismarcks im Juli 1806 erinnert: Der spätere Bildhauer Gerhard Marcks hat Gertrude skizziert. Sie war mit Otto Kiep befreundet, der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Das Paar verlobte sich in Ahrenshoop, dem magischen Künstlerort auf dem Darß, wo die Familie ein Haus besaß, das der Architekt Helmuth Grisebach gebaut hatte. 1910 heiratete die beiden. Schon auf der Hochzeitsreise brach jedoch bei Gottfried von Bismarck eine Tuberkulose aus. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs besserte sich sein Zustand, sodass er als Kurier von Depeschen per Auto eingesetzt werden konnte.
Gottfried von Bismarck gehörte zur kleinen Gruppe der Reformer unter den pommerschen Gutbesitzern. Dennoch wurde ausgerechnet auf ihn in den revolutionären Wirren des Jahres 1918/19 ein Attentat verübt. Glücklicherweise versagte dabei die Pistole eines Gutsarbeiters. Daraufhin schlug der Mann dem Vater von Klaus mit dem Pistolenkolben ins Gesicht. Das Kind stand entsetzt dabei. Der Vater, im Gesicht stark blutend, nahm die Tat mit stoischer Gelassenheit hin. Am nächsten Tag erschien die Frau des Attentäters bei Mutter Gertrude und bat sie darum, im Gefängnis der Kreisstadt anzurufen, um sich nach dem Zustand und der Lage ihres Mannes zu erkundigen. Klaus’ Mutter griff zum Hörer.
Die Kindheit von Klaus bestand aus dem einfachen, elementaren Leben, wie es damals in den preußischen Ostprovinzen üblich war. Die größeren Orte prägte der neugotische Stil der öffentlichen Gebäude, Postämter, Wehrbezirkskommandos, Kasernen, Finanzämter, Gymnasien und Bahnhöfe. Noch heute sieht man sie in Brandenburg oder auf den Überlandstrecken, die von Frankfurt/Oder nach Posen bzw. von Stettin nach Danzig führen. Durch die Dörfer führte die staubige Landstraße. Klaus musste sich vor bissigen Hunden in Acht nehmen und Kühe und Schafe passieren lassen, die »wie Ströme ruhig und friedlich um uns herumflossen«. Pommern war ein karges Land, das nur im Frühling und Sommer seine Reize entfaltete. Gefahr drohte im Frühling von den angriffslustigen Gantern auf der Gänseweide, die mitten im Dorf lag. Im Sommer liefen die Kinder barfuß. Die Gerüche waren unterschiedlich: der Duft von Flieder im Frühling, der Gestank von dampfenden braunen Kuhfladen und der Tröpfelspur des Jauchewagens im Sommer. Im Dorf kannte jeder jeden. Und die Großen waren jederzeit für die Kleinen da. Güter wie der Kniephof bildeten Oasen in einer hügeligen
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