Die Bismarcks
gelänge.
In der Rückschau hat Bismarck die Ansicht vertreten, dass es für ihn als Frontsoldaten mit großer Verpflichtung gegenüber seinen Soldaten keine Entscheidungsmöglichkeit gegeben habe, die ihn »ohne Schuld hätte davonkommen lassen. Mit meiner Antwort muss ich leben«, hat er ergänzt, »aber die Frage, die sich mir an dem damaligen Scheideweg stellte, habe ich bis heute nicht als überholt abgelegt. Sie blieb mir wie ein Schrittmacher, eingepflanzt von der Geschichte, und hielt mein moralisches und politisches Gewissen bis heute wach.« 12 Als Tresckow nach dem 20. Juli 1944 Selbstmord beging, befand sich Klaus zufällig auf Heimaturlaub. Er nahm mit seiner Frau an der Beerdigung in einem Nachbargut von Pätzig teil. Tresckows Leiche wurde auf Anordnung der Gestapo kurz darauf exhumiert und verbrannt. Schlabrendorff überlebte den Krieg.
Im Verlauf der Abwehrschlachten im Kurland im Herbst 1944 zeichnete sich Klaus von Bismarck erneut aus und erhielt das Eichenlaub zum Ritterkreuz. Der Reichsführer- SS Himmler, zu diesem Zeitpunkt als Befehlshaber des Ersatzheeres an der Front am Rhein, überreichte ihm die Auszeichnung kurz vor Weihnachten 1944 in Trossingen im Schwarzwald. Bismarck hat sich später von dem Vorgang distanziert, er habe ihn als »Schuld« erkannt. Während des Russlandfeldzugs war er noch zwei weitere Male verwundet worden.
Im Verlauf der Kurlandschlachten, die ihm die hohe militärische Dekoration eingebracht hatten, fand Klaus in einer kritischen Gefechtssituation Teile eines Kruzifixes, das eine sowjetische Panzergranate zerstört hatte. Er sammelte die Holzstücke des Korpus ein, schnürte einen Karton und gab ihn einem verwundeten Soldaten mit, der ausgeflogen werden sollte. Der Karton kam in Kniephof an, wo ein Stellmacher das Kreuz restaurierte. Unter diesem Kreuz hielt Klaus’ Mutter fortan ihre Abendandachten und nahm es später nach Westen mit. Es fand seinen endgültigen Platz im Haus des Sohnes.
Die 32. Division, zu der Bismarcks Bataillon gehörte, wurde im Januar 1945 auf dem Seeweg nach Süden transportiert und versuchte verzweifelt, die Umzingelung Ostpreußens durch die Rote Armee aufzuhalten. Unweit der deutschen Ortsgrenze kämpfte Klaus’ Regiment Orte frei, in denen die Rote Armee fürchterliche Rache für das genommen hatte, was der russischen Zivilbevölkerung und den kriegsgefangenen Rotarmisten zwischen 1941 und 1944 widerfahren war. Viele Frauen hatten sich erhängt, nachdem sie unzählige Male vergewaltigt worden waren. Ein Feldwebel lief Amok und erschoss einen schwer verwundeten Rotarmisten, der auf der Straße lag. Bismarck riss ihm die Rangabzeichen von der Schulter und ließ ihn festnehmen. Später kam der Mann auf Anordnung Bismarcks frei; die Soldaten hatten auch so verstanden.
Klaus von Bismarck blieb das persönliche Glück im Krieg bis zur letzten Minute treu. Als seine Verwundung aus dem Frankreichfeldzug aufbrach, sollte er im April 1945 von der Halbinsel Hela mit einem Verwundetentransport nach Westen befördert werden. 3000 Soldaten und eine gleich große Anzahl von Flüchtlingen aus Ostpreußen hatten sich im Hafen versammelt, um sich auf der »Goya« einzuschiffen. Bevor Klaus an Bord ging, bot ihm ein Marineoffizier, der ihn kannte, einen Platz auf einem begleitenden Minensuchboot an. In der Nacht wurde die »Goya« 30 Seemeilen nördlich von Leba von einem russischen U-Boot torpediert und ging rasch unter. Nur 200 Menschen überlebten das Inferno. An Land gingen die Reste von Klaus’ Division, die im Brückenkopf Danzig verharrten, am 10. Mai 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft.
An den Küsten seiner Kindheit entlang fuhr Bismarck nach Warnemünde. In einem Lazarett in Rostock wurde ihm ein Granatsplitter entfernt. Drei Tage nach der Operation – die Rote Armee stand vor Rostock – floh Bismarck mit Unterstützung einer Krankenschwester nach Westen. Durch die mecklenburgischen Wälder und über den Elbe-Trave-Kanal hinweg, der die Grenze der Gefechtszone zwischen Russen und Briten markierte, gelangte Klaus auf ein Gut, in das ein ihm aus Pommern bekanntes Mädchen eingeheiratet hatte. Erst als Klaus am 8. Mai 1945 im Radio die Nachricht von der Kapitulation vernahm, fiel der ungeheure Druck, die Last von sechs Kriegsjahren, von einem insgesamt zehn Jahre umfassenden Soldatenleben von ihm ab. Was aus seiner Familie geworden war, wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht. Klaus von Bismarck war 33 Jahre
Weitere Kostenlose Bücher