Die Bismarcks
Gespräch mit Hiege für seinen Bruder Günter ein. Der 26-jährige mehrfach Verwundete, mit der hohen militärischen Auszeichnung »Deutsches Kreuz in Gold« dekoriert, hatte Klaus darum gebeten herauszufinden, ob Günter sich aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen im Warthegau ansiedeln, mit anderen Worten ein Gut erhalten könne 11 – ein bemerkenswertes Anliegen, ein bemerkenswerter Ort des Gesprächs und ein bemerkenswerter Zeitpunkt, sowohl was den älteren wie auch den jüngeren Bismarck-Bruder betrifft. Günter leitete den Treck, der sich zwei Jahre später, am 5. März 1945, nach Westen in Bewegung setzte.
Klaus von Bismarck, mittlerweile Bataillonskommandeur, war für mehrere Monate mit seiner Einheit im Kessel von Demjansk eingeschlossen. Eines Tages wurde er zu einer Begegnung mit Generalfeldmarschall Busch, dem Befehlshaber der Heeresgruppe Nord, befohlen. Die Division, zu der Bismarcks Einheit gehörte, wurde zu diesem Zeitpunkt aus der Luft versorgt. Nur in einem »Fieseler Storch« war es möglich, den 20 Kilometer breiten, von der Roten Armee gehaltenen Korridor zu überqueren, um die Kommandozentrale von Busch in Pleskau zu erreichen. Nach der Landung auf einem Flugplatz ging es zunächst im Kübelwagen über die winterliche Rollbahn südlich des Ilmensees weiter. Der Rand der Trasse war durch Stangen begrenzt. Auf den dahinter liegenden Feldern entdeckte Klaus beim Vorbeifahren immer mehr kleine Schneehügel. Er wurde neugierig, ließ den Fahrer anhalten und stellte fest, dass diese Hügel in Wirklichkeit zugeschneite russische Kriegsgefangene waren. Die meisten, die er sah, waren mit einem Kopfschuss getötet worden.
Bei der Begegnung mit Busch überreichte Klaus eine schriftliche Meldung über die Verbrechen, die er gesehen hatte. Der Generalfeldmarschall bestätigte den Sachverhalt und teilte die Auffassung Bismarcks. Er wisse darum, aber seine Beschwerden würden nichts bewirken, sagte er. Trotz seines mutigen Verhaltens gegenüber dem militärischen Vorgesetzten hat Klaus von Bismarck später eingeräumt, er und seine Kameraden hätten sich »sträflich unpolitisch« verhalten. Die ständige Nähe zum Tod hat er als den Grund dafür genannt, warum selbst in Zeiten der Gefechtsruhe »über das Warum dieses Krieges« so wenig nachgedacht wurde. Sein Schwiegervater, im Stab der Heeresgruppe Süd tätig, hielt 1942 den Gewissenskonflikt nicht länger aus und meldete sich an die Front. Er fiel bald darauf. Daheim auf dem Kniephof nahm sich Klaus’ Mutter der sowjetischen Kriegsgefangenen an.
Während der mehr als drei Jahre des Russlandfeldzugs kam Klaus mehrfach in Gefechtssituationen, die aussichtslos schienen. Er hörte die Kettengeräusche durchstoßender sowjetischer Panzer, Infanterie näherte sich seinem Gefechtsstand. Soldaten für einen Gegenstoß standen nicht zur Verfügung. In dieser Lage befahl Klaus seinem aus Pommern stammenden Burschen: »Moltzahn, machen Sie mir bitte ein Käsebrot.« Ein Jahr später befand sich Bismarck in einer ganz ähnlichen Situation. Plötzlich sagte jemand neben ihm: »Herr Oberstleutnant, soll ich Ihnen jetzt wieder ein Käsebrot machen?« Klaus von Bismarck hat dies später als pommersche Lebensphilosophie bezeichnet: In der Wehrmacht hatten die pommerschen und die aus Ostpreußen stammenden Soldaten einen besonders guten Ruf. Sie waren selbst in den dramatischsten Gefechtssituationen nicht aus der Ruhe zu bringen.
Klaus kam während der späteren Jahre des Russlandfeldzugs auch mit Henning von Tresckow und Fabian von Schlabrendorff zusammen. Sie waren Freunde der Familie seiner Frau. Hinsichtlich der politischen und militärischen Lagebeurteilung war man sich schnell einig. Bismarck war jedoch skeptisch, ob eine konservative Restauration in Deutschland gelingen könne. Er sah die gesellschaftlichen Veränderungen, die während der Weimarer Republik eingetreten waren. Er beurteilte zutreffend die soziale Revolution, die sich im Lande ausgebreitet hatte. Im Bewusstsein breiter, zumeist kleinbürgerlicher Schichten war es dem Regime gelungen, die alten Oberschichten zu entmachten und Platz für neue Eliten zu schaffen. Der Ausgang eines Staatsstreichs gegen den Diktator war für Bismarck somit offen. Zu einer aktiven Rolle im Widerstand konnte er sich nicht durchringen. Angst vor dem Tod hatte Klaus von Bismarck ganz gewiss nicht. Seinen Gesprächspartnern war somit klar, auf welcher Seite er stehen würde, wenn ein Attentat gegen Hitler
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