Die Bismarcks
Position zu beziehen. Noch in der Nacht rief er einige Freunde zusammen und teilte ihnen mit, dass er aus christlichen und humanistischen Überzeugungen nicht bereit sei, den Befehl auszuführen. Klaus’ Kameraden schlossen sich seiner Argumentation an. Der Kommandeur wurde in Kenntnis gesetzt. Nichts passierte. Der Einschätzung von Klaus von Bismarck zufolge ist von Angehörigen seines Regiments bis zum Kriegsende kein russischer Politkommissar erschossen worden.
Wie im Ersten Weltkrieg wurden die Soldaten von der russischen Bevölkerung als Befreier begrüßt. Junge Mädchen reichten Brot und Salz, wenn die Soldaten ein Dorf oder eine Stadt erreichten. Aber schon wenige Tage später schlug das freundliche Klima in Hass um: Die Bevölkerung erfuhr, was sich hinter der Front abspielte, wo die Einsatzkommandos von SS und SD wie zuvor in Polen wüteten.
Auf den Waldai-Höhen im Quellengebiet der Wolga wurde ein Feldwebel, der Klaus bei der Ausbildung in Kolberg einst geschliffen hatte, mit einem Kopfschuss getötet. Klaus befand sich direkt neben ihm. Eine junge, sehr attraktive Studentin, die sich in Frontnähe verdächtig gemacht hatte, wurde Klaus zum Verhör gebracht. Er wusste, welches Schicksal dem Mädchen bevorstand, wenn er es an rückwärtige Dienststellen abgeben würde. Er diskutierte mit ihr über die Vor- und Nachteile des Kommunismus, erfuhr eine Menge von ihrem Leben als begeisterte Komsomolzin und Studentin der Chemie – und ließ sie am Ende laufen.
Klaus von Bismarck war ohne jeden Zweifel ein mutiger, schneidiger Soldat, im Grunde genommen ein Berufssoldat. Aber er hebt seinen Status als Reserveoffizier in seinen Memoiren auch gern hervor. Unter seiner Führung gelang die Einnahme des strategisch wichtigen Ortes Demjansk im Zentrum der Waldai-Höhen nach heftigen Gegenangriffen der Roten Armee. Dafür wurde ihm im Herbst 1941 das Ritterkreuz verliehen.
Wenige Tage später erhielt er eine Woche Sonderurlaub, um zusammen mit 20 weiteren frisch dekorierten Ritterkreuzträgern Reichspropagandaminister Goebbels in Berlin vorgestellt zu werden. Bei dieser Gelegenheit sah er seine junge Frau wieder. Ruth-Alice hatte mittlerweile den Unterricht in der Dorfschule von Kniephof übernommen, weil der Lehrer und der Gemeindepastor eingezogen worden waren.
Vor der Begegnung mit Goebbels wurden Klaus und seine Kameraden von Angehörigen des OKW instruiert, welche Themen sie bei der Begegnung mit dem Minister ansprechen sollten. Bei der Truppe hatte er den Spitznamen »Wotans Mickymaus«. Goebbels galt nicht als Freund des Heeres; er schien Luftwaffe und Marine zu bevorzugen. Beim Essen saß Klaus neben Magda Goebbels, die ihn fragte, ob es für einen Soldaten der kämpfenden Truppe nicht seltsam erregend sei, an einem Abend wie diesem wieder einer deutschen Frau zu begegnen. Magda Goebbels trug ein sehr durchsichtiges Kleid …
Nach dem Essen kam es zu einem Gespräch zwischen Klaus und dem Minister, bei dem sich Goebbels über Heeresfragen sehr gut informiert zeigte. Er »erschien mir an diesem Abend als hochkarätiger Oberteufel der Naziführung«, schrieb Bismarck später in seinen Erinnerungen, »dem ich einen gewissen Respekt nicht versagen konnte«. 10 Als Klaus ihm eröffnete, dass seine Einheit während des Krieges noch nie an Filmvorführungen teilgenommen habe, schickte Goebbels einen Adjutanten nach Babelsberg. Er kehrte mit einer Filmrolle des Streifens »Große Liebe« mit Zarah Leander zurück. Der Film wurde den Anwesenden noch in der Nacht vorgeführt. Klaus hatte Goebbels zusätzlich damit erheitert, dass er die »Die Nibelungen« von Fritz Lang als den letzten guten Film genannt hatte, den er gesehen habe. Lang war bereits 1934 in die USA emigriert.
Im Dezember 1941 wendete sich das Kriegsglück gegen die Invasoren. Auch wenn die Wehrmacht im darauffolgenden Jahr weiter nach Osten vorstieß, war der Russlandfeldzug unter strategischen Gesichtspunkten entschieden. Doch erst bei der Katastrophe von Stalingrad knapp zwei Jahre später wurde diese Tatsache für die Mehrheit der Deutschen sicht- und fassbar. Auch Klaus von Bismarck, so hat es den Anschein, hegte lange Zeit Illusionen. Im Februar 1943, kurz nach der Beförderung zum Major, suchte er im Berliner Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft das Amt IV auf. Es war für die »Besiedlung neuer Gebiete« zuständig und wurde von dem SS -Obersturmbannführer Ferdinand Hiege geleitet. Klaus von Bismarck setzte sich bei dem
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