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Die Bismarcks

Die Bismarcks

Titel: Die Bismarcks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Thies
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alt.
    Berufswechsel
    Wenige Tage nach der Kapitulation erschien ein schwer bewaffneter Trupp von englischem Soldaten auf dem Gut und nahm Klaus von Bismarck im Trainingsanzug fest. Er wurde verdächtigt, ein prominenter Nazi zu sein. Die Soldaten brachten ihn in den sogenannten Gefangenen-Kraal in Ostholstein, wo Klaus von Mai 1945 bis August 1945 verblieb. Zu seiner großen Freude sah er in dem riesigen Gefangenenlager seine Brüder Philipp und Günter wieder.
    Günter konnte von einem glücklichen Verlauf des Trecks berichten, der sich Anfang März 1945 aus Kniephof und Jarchlin Richtung Westen in Bewegung gesetzt hatte. Die entsprechenden Vorbereitungen waren schon 1944 angelaufen. Ein Freund der Familie, der als Angehöriger des Bataillons von Klaus in Russland verwundet worden war, spielte eine entscheidende Rolle beim Gelingen des Transports. Er organisierte die Flucht und führte den Treck an. Die Mutter der Bismarcks, Herrin der Güter, wurde aus dem Krankenhaus abgeholt. Dann setzte sich die Kolonne in Marsch und erreichte im Frühjahr, über Wollin, Usedom und Koserow ziehend, das rettende Schleswig-Holstein. Klaus’ Mutter lebte bis 1981. Sie wurde 82   Jahre alt.
    Einwohner von Jarchlin berichteten Klaus von Bismarck später, der befehlshabende Offizier einer Einheit der Roten Armee habe im Frühjahr 1945 verlangt, das Reitpferd des Gutsbesitzers zu satteln. »Orakel« war ein edles und sensibles Pferd, eine hochnervige Trakehnerstute, mit der nur der Pferdenarr Klaus und sein für die Pferdezucht verantwortlicher Mitarbeiter zurechtkamen. Der Reiter saß auf, das Pferd stand einen Augenblick zitternd da und raste dann davon. Alle Versuche des sowjetischen Offiziers, es zum Halten zu bringen, bewirkten das Gegenteil. Orakels Galopp wurde noch rasender. Die Einheit des sowjetischen Offiziers durchstreifte einige Tage lang die Wälder und Moore rund um Jarchlin: Klaus’ temperamentvolle Stute und der Reiter wurden nie wieder gesehen.
    Die Briten entließen Klaus im August 1945. Da die Heimat im Osten verloren war, entschied sich Klaus, nach Westen zu gehen. Er hoffte in Westfalen, im Raum Herford, seine Familie wiederzufinden. Auf der einen Seite hatte er zu diesem Zeitpunkt mit der Vergangenheit radikaler gebrochen als die meisten seiner Altersgenossen. Auf der anderen Seite stand er zu seinen Erfahrungen als Frontsoldat. Bei der Entlassung wurde er entlaust und sollte seine militärischen Rangabzeichen ablegen. Klaus tat es nicht, er wählte den aufrechten Gang. Seine Orden freilich hat er im Gegensatz zu manchem anderen Kameraden nie wieder angelegt.
    Die Entscheidung, in den Raum Herford zu gehen, sollte sich erneut als großer Glücksfall herausstellen, denn in dieser Gegend hatte sich die britische Militärverwaltung, verteilt auf die fünf kleinen Städte Lübbecke, Minden, Bad Oeynhausen, Detmold und Bünde, niedergelassen. Praktische Gründe hatten den Ausschlag gegeben. Die Großstädte in der britischen Zone mit ihren 23   Millionen Einwohnern waren während des Krieges schon früh in die Reichweite britischer Bomber geraten und stark zerstört worden. Und in der Nähe, im nördlichsten Zipfel Ostwestfalens, führte die vom Ruhrgebiet nach Berlin gehende Autobahn vorbei. 13
    In Herford traf Klaus einen von den Briten eingesetzten Landrat, mit dem er entfernt verwandt war. Auf Bitten des alten Herrn, eines westfälischen, christlich gesinnten Juristen, entwickelte Klaus aus dem Stegreif ein Konzept für die Jugendarbeit. Es wurde nahezu unverändert an die Besatzungsbehörde weitergeleitet und fand Anklang. Die zuständige Dienststelle unter einem Major Bigford-Smith, einem Pfadfinderführer, übersetzte den Text ins Englische und ließ ihn in der Zone verbreiten. Über Nacht war Klaus zum Experten in Jugendfragen geworden. Bereits im Herbst 1945 wurde ihm die Leitung des Jugendamts Herford angeboten. Klaus nahm an. Er hatte sein neues Betätigungsfeld gefunden.
    Im Februar 1946 wurde er von der Besatzungsmacht zu einer Tagung in das Stephansstift nach Hannover eingeladen. Er traf dort auf Gleichgesinnte, die er später an seinem neuen Wohnort in Herford versammelte. Immer wieder kreisten die Gespräche um die Frage: Wo stehen wir moralisch, geistig und politisch? Rasch war die Idee einer Jugendleiterbegegnungsstätte geboren, der die Engländer zustimmten. Klaus wurde Leiter des Jugendhofes in Vlotho, einem kleinen malerischen Ort an der Weser, nur wenige Autominuten von den Stabsstellen der

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