Die Bismarcks
berufenen Präsidenten des Bundeskanzleramtes, Rudolph von Delbrück, einem Bekannten aus Frankfurter Zeiten, der 1896 nobilitiert wurde, schuf Bismarck in kürzester Zeit die modernste Wirtschafts- und Sozialverfassung in Europa. Österreich blieb als großer Staat erhalten und wandte sich in den folgenden Jahrzehnten dem europäischen Südosten zu. Auf dem Balkan kam es eine Generation später zur Katastrophe von Sarajevo, die zum Ersten Weltkrieg führte.
Nun konnte Bismarck an die Begradigung der innenpolitischen Fronten gehen. Mit Glück war er im Mai 1866 einem Attentat »Unter den Linden« entgangen und dabei unverletzt geblieben. Er entwaffnete den Täter, einen Studenten, der sich in seiner Gefängniszelle das Leben nahm. Wenige Wochen später, nach dem Sieg bei Königgrätz, jubelten Bismarck am gleichen Ort die Massen zu. Der Historiker Mommsen notierte, es sei schon »ein wunderbares Gefühl, dabei zu sein, wenn die Geschichte um die Ecke biegt«.
Mit einer Thronrede sollte der Versuch unternommen werden, eine nachträgliche Billigung für die Jahre ohne Budgetbewilligung vom Parlament zu erhalten. Man wollte um »Idemnität« bitten. Am 3. August 1866 schrieb Bismarck an seine Frau: »Großer Zwist im Ministerium über die Thronrede … Die Leutchen haben alle nicht genug zu tun, sehen nichts als ihre eigene Nase und üben ihre Schwimmkunst auf der stürmischen Welle der Phrase. Mit den Feinden wird man fertig, aber die Freunde! Sie tragen alle Scheuklappen und sehen nur einen Fleck von der Welt.« 50 Gemeint waren damit die preußischen Konservativen.
Die noch in ihren Anfängen begriffene Parteienlandschaft veränderte sich mit den Wahlen am 3. Juli 1866 erneut. Es kam zu Abspaltungen und Neupositionierungen, vor allem bei den Liberalen und Konservativen. Die aus der Deutschen Fortschrittspartei hervorgegangenen Nationalliberalen versöhnten sich mit Bismarck. Aber die ungeheure Arbeitsbelastung während der letzten vier Jahre forderte nun ihren Tribut. Bismarcks Leben war seit September 1862 in »eisiger Einsamkeit« (Ludwig Reiners) verlaufen. Wie ein Rastelli hatte er sich durch endlose Verhandlungen mit einem auffassungsschwachen König jongliert, mit acht Ministern, drei Parlamenten, zweiundzwanzig Gliedstaatenregierungen sowie den europäischen Mächten verhandelt. Hinzu kamen zahllose Hintergrundgespräche und lancierte Beiträge in der Tagespresse, vor allem in der Kreuzzeitung. Bismarck sah sich, wie er es selbst formulierte, vor einem »Nervenbankrott«.
Zu seiner Nervosität trug eine Entwicklung erheblich bei, die sich während der ersten zwei Einigungskriege herausgebildet hatte. Der frischgebackene »Bundeskanzler« hatte nun einen direkten Konkurrenten neben sich, den Generalstabschef – eine Folge der anachronistischen absolutistischen Stellung des Königs. Infolge der Verfassung des Norddeutschen Bundes erhielt diese Stellung nun noch mehr Gewicht. Es war Helmuth von Moltke, der Bismarck formal gleichgestellt worden war und fortan mit ihm um den Primat der Politik rang. Symbolisch zeigte sich die neue Situation bei der Siegesparade in Berlin am 20. September 1866, an der Bismarck in weißer Kürassieruniform, zum Generalmajor befördert, teilnahm. Vordergründig waren es jedoch Wochen des Triumphes für Bismarck. Mit der Hand auf den Tisch schlagend, rief er: »Besiegt habe ich sie. Alle! Alle!« Er meinte damit seine innen- wie außenpolitischen Gegner.
Längst war er in Deutschland eine Figur des öffentlichen Lebens, durch Karikaturen, Maler und die Fotografie in jeden Haushalt hineingetragen. Diesen Verlust der Anonymität bedauerte Bismarck. Nun begab er sich mit seiner Frau in die Stille eines Gartenhauses, das einem Vetter auf Rügen gehörte. Das Paar hatte endlich Zeit füreinander und blieb dort zwei Monate. Gemeinsam unternahmen sie viele Spaziergänge, und Bismarck machte auch einige Jagdausflüge. Nach der Rückkehr nach Berlin bewilligte das preußische Abgeordnetenhaus ihm eine Dotation in Höhe von 400 000 Talern, von der er ein Jahr später das in Hinterpommern gelegene Varzin erwarb. Das Rittergut umfasste sieben Dörfer und einen umfangreichen Waldbesitz.
Ähnlich wie sich schon bald nach 1864 die entscheidende Auseinandersetzung mit Österreich abgezeichnet hatte, spitzten sich nun die Verhältnisse zwischen dem erstarkten Preußen und Frankreich zu. Bismarck war daran nicht schuldlos. Er hatte bereits während des deutsch-dänischen Krieges seine
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