Die Bismarcks
außer Frankreich unser bedürfen und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden«.
Schon bald darauf erhielt Bismarck die Gelegenheit, dieses Konzept zu praktizieren: beim Berliner Kongress im Jahre 1878. Dort trat er als »ehrlicher Makler« zwischen den Konfliktparteien England und Österreich-Ungarn sowie Russland auf und erreichte den Höhepunkt seines internationalen Ansehens. Mitten in den Sätzen wechselte er zwischen Deutsch, Englisch und Französisch und formulierte Vertragsdetails auf Französisch. Störrische Mächte stauchte er auf seine Weise zusammen. Als die Türken die einmonatigen Verhandlungen blockierten und Bismarcks geplante Abreise nach Bad Kissingen in Gefahr geriet, empfing er die osmanische Gesandtschaft in Uniform und betonte seine mächtige, bulldoggenartige Gestalt mit einer Pickelhaube als Kopfbedeckung. Nur einen Konferenzteilnehmer konnte Bismarck nicht zufriedenstellen, die Russen. Als Kaiser Wilhelm ein Jahr später ein Schreiben vom Zaren erhielt, den sogenannten Ohrfeigenbrief, in dem eine verbindliche Aussage über den Kurs der deutschen Außenpolitik verlangt wurde, sagte Bismarck in einer Kabinettsitzung: »Russland hat sich dem einzigen Freund gegenüber benommen wie ein asiatischer Despot, welchem der Bediente nicht schnell genug die Treppe herauflaufe …« Das Benehmen und der Brief seien wie das des Herrn gegen den Vasallen. Die Folge davon war der Zweibund, ein geheimer Bündnisvertrag mit Österreich, der im September 1879 abgeschlossen wurde. Wilhelm hatte sich lange Zeit dagegen gewehrt, er sah das Dokument als persönlichen Verrat an seinem Neffen, Zar Alexander II.
Die Diskussionen um das Für und Wider eines Präventivkriegs nahmen nicht ab, sondern zu. Aber die internationale Lage blieb nun vorübergehend ruhig. Frankreich war damit beschäftigt, sein afrikanisches Kolonialgebiet auszubauen und die Verhältnisse in Algerien durch den Zuzug von Siedlern zu konsolidieren. 1881 gelang es Bismarck, den Dreikaiserbund zu erneuern. Ein Jahr später wurde der Zweibund mit Österreich um Italien zu einem Dreibund erweitert. Frankreich hatte Tunis annektiert. Das gefiel dem zweiten jungen Nationalstaat in Europa gar nicht.
1884 wurde das Kaiserreich bei dem Wettlauf der Europäer um die letzten Kolonien in Afrika aktiv. Südwestafrika, Togo, Kamerun, Ostafrika und einige Besitzungen im Pazifik wurden unter den Schutz des Reichs gestellt. Schon ein Jahr später brach Bismarck diese Politik ab, weil sich die innenpolitische Situation in Frankreich veränderte. Der neue Kriegsminister Boulanger blies von 1886 an unverhohlen zur Attacke gegen den Intimfeind Deutschland. Bald darauf musste Bismarck einen Brandherd auf dem Balkan diplomatisch löschen, den Russland und Österreich verursacht hatten.
Bismarck fiel es nicht schwer, das koloniale Abenteuer abzubrechen. Es folgte keinem Masterplan, sondern basierte auf dem damals in Europa üblichen Prinzip, dass dem Handel die Flagge folge. Einem Verfechter des Kolonialgedankens, dem deutschen Afrika-Forscher Wolf, sagte Bismarck auf seine unnachahmliche Weise: »Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Hier liegt Russland, und hier liegt Frankreich, und wir sind in der Mitte; das ist meine Karte von Afrika.«
1887 gelang es Bismarck nicht mehr, den Dreikaiserbund zu verlängern. Hilfsweise schloss er im Juni 1887 den sogenannten Rückversicherungsvertrag mit Russland ab, der die beiden Partner zur Neutralität im Falle eines unprovozierten Angriffs von Frankreich auf Deutschland beziehungsweise von Österreich auf Russland verpflichtete. Immer schwieriger wurde es für den Kanzler nun jedoch, die Nebenaußenpolitik der preußischen Militärs zu unterbinden, vor allem des Nachfolgers von Moltke, Graf Waldersee.
Das politische Ende von Bismarck und damit das Ende einer Außenpolitik, die nur dieser kühl kalkulierende Mann betreiben konnte, zeichnete sich ab, als Wilhelm I. im Alter von 90 Jahren am 15. Juni 1888 starb. Auf ihn folgte der totkranke Friedrich III. , der das Land nur 99 Tage lang regierte. Am Einfluss Bismarcks auf die deutsche Außenpolitik änderte sich in diesen Wochen nichts.
Aber schon die erste Begegnung des mittlerweile 75 Jahre alten Bismarck mit dem 29 Jahre alten Nachfolger und Sohn von Friedrich, Wilhelm II. , zeigte an, dass der Generationsunterschied und die divergierenden Vorstellungen
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