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Die Bismarcks

Die Bismarcks

Titel: Die Bismarcks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Thies
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der Machtfülle unserer beiden Kronen schraubt er seine Bedeutung immer höher, u. gewöhnt das Reich wie auch die Welt nur nach seinen Absichten zu fragen.« 59
    Die Auseinandersetzung Bismarcks mit der katholischen Kirche spielte sich vor allem in Preußen ab. Das Hauptmotiv war seine Sorge um die Konsolidierung des Reichs. Neben dem schwierigen Verhältnis zum »ultramontan« gesinnten katholischen Klerus und der polnischen Opposition im eigenen Lande spielten auch außenpolitische Erwägungen eine Rolle. »Nach Canossa gehn wir nicht, weder körperlich noch geistig«, sagte Bismarck am 30.   Januar 1872 im preußischen Landtag. Während der erbittert geführten Auseinandersetzung wurde die katholische Abteilung im preußischen Kulturministerium geschlossen und ein sogenannter Kanzelparagraf erlassen. Er schränkte die Redefreiheit der Geistlichen stark ein. Zeitweise blieben alle Bischofsstühle in Preußen vakant, befanden sich Geistliche im Gefängnis. Mithilfe des preußischen Schulaufsichtsgesetzes wurde das Schulwesen von katholischen Lehrkräften »gereinigt«. Erst als Papst Leo XIII. 1878 die Nachfolge des konfliktbereiten Pius IX. antrat, beruhigten sich die Gemüter allmählich. Aber die Repression und der passive Widerstand der Kirche gingen fast ein Jahrzehnt lang weiter.
    In dieser Zeit änderten sich die politischen Mehrheitsverhältnisse für den Reichskanzler. Auf Drängen der Großindustrie und der Landwirtschaft beendete Bismarck die Politik des Freihandels zugunsten einer Politik der Schutzzölle, mit der er auch die Einnahmenseite des Reichs verbessern wollte. Die lange Zeit der Zusammenarbeit mit den Nationalliberalen kam dadurch an ihr Ende. Fortan stützte sich der Kanzler zunehmend auf die Konservativen und das Zentrum.
    Möglich wurde diese Politik durch das stillschweigende Einverständnis, eine neue politische Kraft auszuschalten. Sie hatte sich im Verlauf der stürmisch verlaufenden Industrialisierung des Landes herausgebildet: die Arbeiterbewegung. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie mehrheitlich eine marxistische Ausrichtung und bildete in der Perspektive des Bürgertums und der Kräfte, die die Monarchie stützten, eine große Gefahr. Zwei Attentate auf den Kaiser im Frühjahr 1878 – beim zweiten wurde der Monarch schwer verletzt – waren der Auslöser für die Sozialistengesetze. Mit ihnen wurde den Vertretern der Arbeiterbewegung jede politische Betätigung im öffentlichen Raum untersagt. Nur die Beteiligung an Reichstags- und Landtagswahlen war erlaubt. Da es für Parlamentarier zu dieser Zeit noch keine Diäten gab, entwickelten sich Journalisten, die für Parteizeitungen arbeiteten, trotz des staatlichen Repressionsapparats zu Wortführern der Partei, deren Anhängerschaft rasant wuchs. Als mit Paul Singer, der zunächst als Stadtverordneter in Berlin eine wichtige Rolle gespielt hatte, einer ihrer Anführer starb, säumten eine Million Menschen den Trauerzug, eine politische Demonstration, die Bismarck nicht mehr erlebte. 60 Er versuchte mit einer für die Zeit bahnbrechenden Gesetzgebung, der neuen politischen Kraft die Dynamik zu nehmen.
    Deutschland wurde zum Pionier in Sachen soziale Sicherheit. In den 1880er-Jahren brachte Bismarck im Parlament die Sozialversicherungsgesetze ein – Schutz gegen die Folgen von Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter. Kaiser Wilhelm I. verkündete 1881 seine »Kaiserliche Botschaft« zur Sozialpolitik. Obwohl Bismarck nie ein Freund der Arbeiterbewegung war, anerkannte er doch die Schäden, die der Industriekapitalismus verursachte. (Allerdings lag bei Arbeitsunfällen die Beweispflicht beim Betroffenen.) Manche Konservative und Liberale lehnten diese Entwicklung ab, weil sie in der gesetzlichen Versicherung eine staatliche Bevormundung sahen. (Mit ähnlicher Argumentation wird noch heute in den USA gearbeitet.) Bismarck bemühte sich bis zum Ende seiner Amtszeit, diese Vorhaben auf den Weg zu bringen. Das gelang, aber das Parlament verfügte viele Veränderungen. Entscheidend war am Ende, dass das Versicherungssystem in öffentlich-rechtliche Hände gelangte. Andere Forderungen der Parteien gingen erst nach den beiden Weltkriegen in Erfüllung. Anlässlich des hundertsten Jahrestages der Erstürmung der Bastille tagte am 14.   Juli 1889 ein Arbeiterkongress in Paris, der die Einführung des Achtstundentages forderte.
    An der außenpolitischen Front gab es nach 1871 für Bismarck ebenfalls kaum ruhige Phasen. Vom Beginn des Kaiserreiches

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