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Die Bismarcks

Die Bismarcks

Titel: Die Bismarcks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Thies
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über Deutschlands Rolle im internationalen System nicht zu überbrücken waren. Wilhelm hielt die Hand zum Huldigungskuss des Kanzlers so tief, dass sich der hochgewachsene alte Bismarck tief hinabbeugen musste, um mit seinem Mund die Hand des neuen Kaisers zu erreichen. Bismarcks Urteil über den Monarchen stand jedoch ohnehin schon seit Jahren fest. Der Prinz, hatte er 1887 geradezu prophetisch gesagt, sei »ein Brausekopf, könne nicht schweigen, sei Schmeichlern zugänglich und könne Deutschland in einen Krieg stürzen, ohne es zu ahnen und zu wollen«.
    Wilhelm hatte dagegen nur ein Ziel: Er wollte dieses moderne Land, das wenige Jahre später England als führende Industriemacht ablösen würde, regieren – ohne die »checks and balances«, die es in den anderen großen westlichen Industrienationen gab. Und deshalb wollte er den »Alten« loswerden.
    Bismarck war nun aber nicht mehr bereit, sich durch die Nadelöhre hindurchzuzwängen, die ihm Wilhelm II. vorhielt. Er zog sich auf seine Güter zurück, hielt den Kontakt zum Monarchen über seinen Sohn Herbert aufrecht und kam nur nach Berlin, wenn es nicht zu vermeiden war. Dabei war der Gedanke sicherlich nicht falsch, dem umtriebigen Neuling die gesamte Spielfläche zu überlassen und ihn dabei zu übermüden. Aber Wilhelm II. hatte nun den Gang der Ereignisse selbst in der Hand. Und er nutzte bereits die erste Chance. Als Anfang 1890 die Verlängerung der Sozialistengesetze beschlossen werden sollte, kam es bei einer Unterredung zwischen dem Monarchen und dem Kanzler zu einem irreparablen Bruch im persönlichen Verhältnis. Einen Monat später erlebte Bismarck ein Fiasko bei den Reichstagswahlen. Die SPD triumphierte, die Mehrheit von Konservativen und Liberalen war dahin.
    Aber noch wollte der politische Einzelkämpfer den Ernst der Lage nicht einsehen. Er wollte Sondierungsverhandlungen mit den Vorsitzenden der im Reichstag vertretenen Parteien beginnen. Der Führer des Zentrums, Ludwig Windthorst, fasste die Eindrücke von einem Gespräch mit Bismarck mit den Worten zusammen: »Ich komme von dem politischen Sterbebett eines großen Mannes.«
    Mit der Außenpolitik hatte die politische Karriere Bismarcks begonnen, und mit ihr endete sie auch, genauer gesagt mit einer Kontroverse um den geheimen Rückversicherungsvertrag. Er lief im Juni 1890 aus. Der Kaiser, umgeben von einer russlandfeindlichen Gruppe, wollte ihn nicht verlängern. Die innenpolitische Kontroverse, die unklaren Mehrheitsverhältnisse im Parlament, der Wille, eine andere Bündnispolitik zu betreiben, führten am 15.   März 1890 zum endgültigen Bruch zwischen Wilhelm und Bismarck. Der Reichskanzler wurde aufgefordert, sein Entlassungsgesuch einzureichen und am Nachmittag des 17.   März 1890 ins Schloss zu kommen. Aber wie bei der Emser Depesche hatte der Monarch die Rechnung ohne den überlegenen Gegenspieler gemacht. Bismarck ließ sich nicht drängen. Er formulierte seinen Abschied so geschickt, dass der Kaiser nicht wagte, den Text zu veröffentlichen. Die Verantwortung für den Bruch lag auf diese Weise bei Wilhelm.
    Der Monarch war sich am 18.   März 1890 nicht zu fein, bei einer Rede vor den kommandierenden Generalen seinen Noch-Kanzler und Generalfeldmarschall mit den Worten abzukanzeln, er könne ihn »nicht brauchen«. Bismarck wolle »nicht Order parieren; also muss er fort«. Ein Mitarbeiter Bismarcks im Auswärtigen Amt, der Geheimrat von Holstein, hatte im April 1888, anlässlich des Einzugs von Wilhelm ins Charlottenburger Schloss, seinen Weg als »die Nemesis der Weltgeschichte« bezeichnet. 62
    Bismarcks Gesuch ging am Abend des 18.   März 1890 ein. Zwei Tage später wurde er entlassen, der Rückversicherungsvertrag ein paar Monate später nicht verlängert. Golo Mann hat in seiner Deutschen Geschichte diesen Machtwechsel als einen Einschnitt bezeichnet, in dem die dritte Generation auf die erste folgte. »Man könnte sagen: das 20.   Jahrhundert folgte auf das 18.« In der Tat, Wilhelms Großvater war elf Jahre nach dem Tod von Friedrich dem Großen auf die Welt gekommen. Wilhelm II. lebte bis 1941.
    Der »Neue Kurs«, der in der deutschen Außenpolitik nun eingeschlagen wurde, hatte eine klar offensive Ausrichtung. Er setzte auf einen engen Zusammenschluss mit Österreich und nahm das Risiko eines Zweifrontenkrieges zunehmend in Kauf. Später kamen Probleme mit England hinzu. Die Einkreisung des Reichs war damit perfekt. Bismarck war hingegen nach den

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