Die Bismarcks
Zeitgenossen erkannte Bismarck die Risiken, die sich beim Aufbau einer deutschen Flotte ergeben würden. Im Parlament wurde er dafür ausgerechnet vom sozialdemokratischen Oppositionsführer August Bebel 1897 gelobt.
Zu den Begleiterscheinungen des immer weiter um sich greifenden Bismarck-Kults gehörte aber auch, dass man ihn einerseits heroisierte, andererseits ihm nicht länger zuhörte. Auch der junge Max Weber überhörte die Warnungen des Alten bei seiner Freiburger Antrittsvorlesung, als er ausführte: »Wir müssen begreifen, dass die Einigung Deutschlands ein Jugendstreich war, den die Nation auf ihre alten Tage beging und seiner Kostspieligkeit halber besser unterlassen hätte, wenn sie der Abschluss und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpolitik sein sollte.«
Zu den Zeitungsbeiträgen kam im Frühjahr 1891 die Nachricht hinzu, dass Bismarck bei den Reichstagswahlen für die Nationalliberalen in Hannover-Lehe kandidieren würde. Er gewann im alten Wahlkreis von Rudolf von Bennigsen das Mandat, wenn auch nur knapp, übte es jedoch nicht aus. Lustlos diktierte er zu dieser Zeit seinem Mitarbeiter Lothar Bucher seine Memoiren. Beide hatten unterschiedliche Vorstellungen von dem dreibändigen Werk. Es erschien nach dem Tod Bismarcks bei Cotta, die beiden ersten Bände Ende 1898, ein dritter, um den Kaiser zu schonen, erst 1921.
In den Genuss des Vorschusses von 100 000 Mark pro Band war Bismarck freilich zu Lebzeiten gekommen. Obwohl der Buchpreis nicht unerheblich war, wurden binnen weniger Tage 300 000 Exemplare der Gedanken und Erinnerungen verkauft. Es war kein Werk, in dem die Dinge objektiv beschrieben wurden, wie sie gewesen waren, sondern eine politische Kampfschrift. Wie alles, was Bismarck rückschauend beschrieb, war es mit äußerster Vorsicht zu genießen.
Bismarck war in den acht Jahren, die ihm nach der Kanzlerschaft verblieben, aber nicht nur ein politisch rastloser Mensch. Er konnte in diesem Lebensabschnitt auch entspannen. Endlich griff er wieder zu den Klassikern seiner Jugendjahre, die an allen seinen Wohnsitzen für ihn bereitlagen, und hörte gern Hausmusik. Hans von Bülow, der Dirigent des weltberühmten Berliner Philharmonischen Orchesters, provozierte einen Eklat, als er im März 1892 nach einer Aufführung von Beethovens »Eroica« dieses Werk demonstrativ Bismarck widmete und wenige Tage später zum Geburtstag des Exkanzlers nach Friedrichsruh fuhr. Bismarck traf auch mit Richard Wagner zusammen und lud im Sommer 1896 den berühmten Geiger Joseph Joachim zu einem Konzert nach Friedrichsruh ein. Joachim wurde wenige Jahre später Direktor der Königlich Preußischen Musikhochschule in Berlin-Charlottenburg und holte seinen Landsmann Ernö von Dohnányi nach Berlin, den Vater des Hitler-Gegners Hans von Dohnanyi.
Diese Begegnungen änderten jedoch nichts daran, dass die Bismarcks ganz plötzlich allein waren. Der Exkanzler und seine Familie mussten nun einen hohen Preis für die exzeptionelle Karriere entrichten, und er wurde vor allem in Form von Einsamkeit bezahlt. Es gab keinen freundschaftlichen Umgang mit den Gutsnachbarn. Von den pommerschen Pietisten, den frühen politischen Förderern, hatte sich Otto von Bismarck längst abgewandt und sie von ihm. Oppositionspolitiker ließen sich bei den Bismarcks auch nicht blicken. Ebenso wenig kamen Gelehrte und Künstler aus der Hauptstadt. Auch zu den bedeutenden Schriftstellern der Zeit entwickelte der politische Pensionär keinen Draht. Was ihm blieb, waren die Freunde von einst, die Schulkameraden und Studienfreunde aus Berliner und Göttinger Zeiten, was anrührend und traurig zugleich ist, wenn man bedenkt, welch ein Prestige eine private Einladung zu den Bismarcks wenige Jahre zuvor noch gehabt hatte.
Der nächste Eklat mit Berlin ließ nicht lange auf sich warten. Bismarcks Sohn Herbert beabsichtigte zu heiraten, die Hochzeit sollte im Sommer 1892 in Wien stattfinden. Der Kaiser und die Regierung Caprivi versuchten mit allen Mitteln, die Einladungsliste des Paares zu zerschießen, politische Prominenz zum Fernbleiben zu überreden. Das gelang, aber die Intrige wurde öffentlich bekannt und zum politischen Skandal. Die Anreise Bismarcks geriet infolge dessen zu einem nationalen Triumphzug, der über die Stationen Berlin, Dresden, Wien und zurück über München und Bad Kissingen und nochmals Berlin führte. Auch die Österreicher waren begeistert. Bismarck, der nie außerhalb von Parlamenten gesprochen
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