Die Bismarcks
Freundeskreis, bekräftigte Hannah am 25. Juni 1933 ihre Analyse: »In fünf Jahren macht der Bursche Krieg.« Die Reaktion des 20 Personen umfassenden Kreises: großes Gelächter. In fünf Jahren werde man Hitler vergessen haben.
Der Sommer 1933 war für die Familie eine schwierige Zeit, weil Hannah mit ihren Kindern am Ende der Ferien aus der Schweiz nach Potsdam zurückkehren musste. Die Berichte über den Gesundheitszustand ihres Mannes, der am Genfer See geblieben war, wechselten. Sie waren insgesamt jedoch beunruhigend. Am letzten Septemberwochenende reiste Hannah nach Süden, um Leopold zu sehen. Sie traf in letzter Minute in der Klinik L’Oasis in Lausanne ein. Am 1. Oktober 1933 starb ihr Mann. Mit seinem Sarg kehrte die Witwe eine Woche später nach Potsdam zurück. Die Trauerfeier fand am 12. Oktober 1933 in der Sacrower Heilandskirche statt. Auf dem nahe gelegenen Friedhof fand Leopold seine letzte Ruhe.
Zwei Wochen später reiste Hannah auf dem Schnelldampfer Albert Ballin von Bremerhaven nach New York. Sie wollte in den USA finanzielle Fragen klären, das war der vordergründige Anlass der Unternehmung. In Wirklichkeit ging es darum, endlich Ruhe zu finden und über die persönliche Zukunft nachzudenken. Hannah hatte ein schwieriges Jahr hinter sich: Ihr achtes Kind war zur Welt gekommen, während der Schwangerschaft hatte sie um das Leben ihres kranken, pflegebedürftigen Mannes gekämpft und ihn am Ende verloren. Und da gab es noch die wachsende Zuneigung zu Sydney Jessen, dem Hausfreund und Korrespondenzpartner. Nach dem Aufenthalt in New York, bei dem ihr die Kamera gestohlen wurde, reiste Hannah nach Washington weiter. Auf der »Bismarck« (sie hieß jetzt »Majestic«), die sie als junges Mädchen im Juni 1914 getauft hatte, kehrte sie Mitte November 1933 von New York nach Europa zurück. Zahlreiche Passagiere erkannten Hannah, sie musste Autogramme geben. Selbst die Matrosen sprachen sie an. In London machte sie bei ihrem Bruder Otto einen Zwischenstopp und reiste dann per Flugzeug nach Berlin zurück.
Fortan war Hannah eine Fremde im eigenen Land. Selbst die große Kinderschar, vor allem der jüngste Sohn, und die verbliebenen Freunde vermochten ihre tiefe Depression nicht zu vertreiben. Am Silvestertag 1933 notierte sie: »Ich wäre froh, wenn ich einschlafen und nicht mehr aufwachen könnte.« Die Perspektive für das kommende Jahr sah für sie so aus: »There will be quite a lot of murder before the year is out. Nobody believes me. And that of course does not matter, but if only my brothers were not what they are.«
In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 wurde Leopolds Onkel Ferdinand von Bredow, Leiter der Abwehrabteilung im Reichswehr-Ministerium und seit 1932 Chef des Ministeramts und damit Stellvertreter von Kurt von Schleicher, beim sogenannten Röhm-Putsch ermordet. SS -Männer verschleppten den 1933 von den Nazis geschassten Generalmajor in eine Kaserne in Berlin-Lichterfelde. Bei der Ankunft war Bredow tot. Er wurde ausgeschaltet, weil er als Geheimdienstexperte in den Augen der NS -Führung zu viel wusste. Möglicherweise hatte sich Göring gegenüber Bredow, Hitler somit ausbootend, für einen Ministerposten in einer von den Konservativen angeführten Koalitionsregierung angeboten.
Fortan galten die Bredows im Dritten Reich als Vaterlandsverräter. Andere Regimekritiker, die Hannah gut kannte, wurden ebenfalls umgebracht. Die Begeisterung des NS -Regimes für den Reichsgründer und seine Nachfahren hatte mittlerweile deutlich nachgelassen. Die Arbeiten am Bismarck-Denkmal in Bingen wurden im Sommer 1934 eingestellt. Vom Oktober 1934 an plagten Hannah finanzielle Sorgen. »No letters, only bills«, notierte sie in ihrem Tagebuch. Bei einem Aufenthalt in London im August 1936 versuchte sie in Gesprächen mit dem amerikanischen Verwalter ihres Trusts ihre finanzielle Situation zu klären und damit zu verbessern, jedoch offenbar ohne Erfolg.
Das Verhältnis zu Bruder Otto und seiner Frau Ann Mari hatte sich unterdessen weiter abgekühlt. Als die beiden bei einem Deutschlandaufenthalt 1935 mit Parteiabzeichen am Revers zum Tee erschienen, warf Hannah sie kurzerhand hinaus. Man schrie sich gegenseitig an. Anschließend verließen die Gäste fluchend das Haus. Die nun einsetzende Funkstille wurde nur noch durch Besuche von Hannahs Kindern in London unterbrochen.
1937 reiste Hannah zur Beerdigung eines Onkels nach Wien und blieb dort einige Tage. Im Kreis
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