Die Bismarcks
Tagebüchern die Jahrestage fest, die auf ihren Großvater und Vater verwiesen. Sie erinnerte sich aber auch in gleicher Weise an ihren Hochzeitstag und das Todesdatum ihres Ehemannes. Hannah besaß eine stupende Fähigkeit, in der Zukunft liegende Entwicklungen zutreffend zu prognostizieren. Sie beschäftigte sich mit Horoskopen, Handlesen und Grafologie und studierte z. B. die Handschrift von Hitler.
Zu ihrer Vorstellung von Leben gehörte auch elegante Haute Couture, die von der Fa. Lauffer & Spitzer in Wien angefertigt wurde. Diese Kleidung gab ihr den gewünschten äußerlichen Halt, weil sie mit mehreren Geburtsfehlern zu kämpfen hatte. Zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, erschien ein Schneider mit großen Musterkoffern in Potsdam, um neue Aufträge entgegenzunehmen.
Witwenpension und Kindergeld reichten für einen solchen Lebensstil nicht aus. Aber Hannah zeigte Geschick in Geldfragen, besaß krisenfeste Papiere und hatte mitunter Glück. Hinzu kamen die Zugriffsmöglichkeiten auf den US -Trust ihres verstorbenen Ehemannes.
Mit großer Natürlichkeit und Bestimmtheit bewegte sich Hannah in den politischen Kreisen Berlins. Die Residenz- und Garnisonsstadt Potsdam war für sie zu klein. Als sie einmal einen Besucher langweilig fand, fackelte sie nicht lange und begann mit der Lektüre der Times, die sie im Abonnement hielt, senkte das Blatt nach einer Weile und sagte: »Ich glaube, es ist Zeit für Sie zu gehen.« Tatsächlich erhob sich der Gast und verschwand.
Mehrmals in der Woche fuhr Hannah nach Berlin, wo sie unter anderem ein Jahresabonnement der Philharmonie besaß – einen Platz in der zweiten Reihe. Die alte und neue politische Klasse traf sie im Hotel Adlon. Man kann sagen, dass Hannah in der Schlussphase der Weimarer Republik ein durch und durch politischer Mensch geworden war.
Am Tage der Machtergreifung notierte sie in ihrem Tagebuch: »So, jetzt haben wir die Nazis. Hitler ist Kanzler. Die Begeisterung grenzenlos. Riesiger Fackelzug. Der alte Mann (Anm. des Vf.: Paul von Hindenburg) stand von 8 – 11 : 30 und ließ sich huldigen. Was er wohl denkt?« 20 Einen Tag später schrieb sie: »Die Welt ist aus den Fugen, und wir können nur abwarten, bis uns das Genick umgedreht wird. Scheußlich. Die Menschen sind alle toll. Ich habe so etwas doch nicht für möglich gehalten. Ach, Gottfried! Er wird furchtbare Dinge erleben.«
Am 7. Februar 1933 erschien die Frau von Hannahs Bruder Otto zum Essen. Hitler hatte ihr ein Porträtfoto mit hochkarätiger Goldeinrahmung zukommen lassen. Hannah hielt fest: »Ann Mari in seliger Nazibegeisterung zum Lunch. Das ist geradezu tragisch-komisch, aber was soll man von ihr anderes erwarten. Ich sagte ihr: Mein liebes Kind, der Mann ist ein Verbrecher ganz großes Ausmaßes, und es gibt keine Worte, um Eure Blindheit zu schildern. Ich lasse mich gerne hängen, wenn es sein soll, aber ich werde nie Nazi!!« Die Spannungen zwischen Hannah und Ann Mari, auch typmäßig bedingt, nahmen im Laufe der nächsten Monate zu. »Ein ahnungsloses Schwedenkind«, hieß es einmal in einem von Hannahs Tagebucheinträgen. Wenige Tage später besuchte Hannah eine Frau von Schwabach, die über ihren Mann mit der jüdischen Bankiersfamilie Bleichröder verwandt war. Ein Bleichröder war seinerzeit der wichtigste Finanzberater des Reichskanzlers gewesen. Hannah riet ihr zur Auswanderung. »Das tut mein Mann nie«, lautete die Antwort. »Er ist ein deutscher Patriot.«
Die Folgen des Reichstagsbrandes, die Vorwände, die die Nationalsozialisten zur Ausschaltung ihrer politischen Gegner nutzten, analysierte Hannah mit großer Klarheit. Sie fing nun damit an, in ihren Aussagen gegenüber Besuchern vorsichtiger zu werden, die sie nicht ganz einschätzen konnte. Statt durchgängig mit dem Füllfederhalter schrieb sie auch hin und wieder mit dem Bleistift. Am 2. März 1933 hielt sie fest: »Vorläufig scheinen die Nazis erst einmal der Vendetta zu huldigen, aber dann? ›Juden raus!‹ ist nur ein Teil. Und Hitler ist zweifellos der Schrift nach Paranoiker. Angenehme Aussichten.«
Die Reichstagswahlen am 5. März 1933, Kommunisten und Sozialdemokraten saßen bereits im Gefängnis, brachten den Nationalsozialisten das gewünschte Ergebnis. Hannah, mühelos von einer in die andere Sprache wechselnd, kommentierte es so: »This is the last day – from now on hell, hell, hell and I have seen so many march hares that I am sick.« Sie spielte damit auf die
Weitere Kostenlose Bücher