Die Bismarcks
sogenannten Märzhasen oder März-Gefallenen an, also jene politischen Opportunisten, die im März 1933 massenweise der NSDAP beitraten, als diese ihre Macht zu konsolidieren begann. Im gleichen Monat setzten in Deutschland die Denunziationen ein, der Verrat der vermeintlichen Freunde und Nachbarn. Mitunter ging der Riss durch die Familien, zerbrachen Ehen im Pro und Kontra gegenüber Hitler.
Am 8. März 1933 erschien Hannah zum Tee beim britischen Botschafter Sir Horace Rumbold. Die Residenzen des britischen, französischen, Schweizer und belgischen Botschafters in Berlin wurden für sie nach dem Tod ihres Mannes wichtige Orte, weil sie als Witwe prominente private Einladungen immer seltener erhielt. Sie wurde bereits beobachtet. Vermutlich hatte die Gestapo schon zu diesem Zeitpunkt ein Dossier über Hannah angelegt. Einige Wochen später spottete sie: »Das ist ja sehr lobenswert von ihnen.« Bei einer Durchsuchung der Bibliothek beschlagnahmte die Gestapo Anfang 1934 bei Hannah das Buch Nazi Germany means War.
Vergeblich versuchte Hannah, ihren beiden Brüdern über das wahre Gesicht des Nationalsozialismus die Augen zu öffnen. »Gottfried strotzt vor Nazibegeisterung«, hielt sie am 10. März 1933 fest, »und er tut mir so leid, denn er wird viel mehr zahlen als z. B. Otto, der seinen Kopf nie verlieren wird. Ich habe Gottfried angefleht, auf mich zu hören, aber es hat keinen Sinn. Blind, blind.«
Vorerst gab Hannah nicht auf. Am 11. März 1933, also schon einen Tag später, hielt sie in ihrem Tagebuch fest: »Ich habe Gottfried gesagt, dass in 10 Jahren alles vorbei sein und es kein Deutschland mehr geben wird, es sei denn, Hitler würde vorher umgebracht. Ich habe ihm vorgehalten, dass es nur eines gibt, um das arme Land zu retten: Kampf mit allen Mitteln des Verstandes und mit eiskalter Berechnung, denn die Irren kann man nie überzeugen. God help us.« Am 21. März 1933, am Tage der feierlichen Eröffnung des Reichstags in Potsdam, notierte Hannah: »Sickening. Old Hindenburg. Finis Prussiae, finis causarum vivendi. That Austrian mongrel. (Anm. des Vf.: Anspielung auf Hitler) Good God! Leopold außer sich.«
Am 29. März 1933 traf Hannah im Hotel Adlon erstmals mit Hitler zusammen. Goebbels und Papen standen in seiner Nähe, als sich die Gäste bei einem Empfang in einer langen Schlange auf ihn zubewegten. 21 Frau Goebbels betrieb Konversation mit den Damen, um ihnen die Wartezeit zu verkürzen. Lispelnd erkundigte sie sich bei Hannah: »Gnädige Frau, wo leben Sie?« – »In Potsdam.« – »Reizendes Städtchen«, flötete Frau Goebbels. »Und wie viele Kinder haben Sie?« – »Neun«, antwortete Hannah. »Wie glücklich der Führer sein wird, das zu hören!« – »Ihm zuliebe habe ich sie ja nicht bekommen«, entgegnete Hannah.
Hitler begrüßte die Bismarck-Enkelin mit einem Handkuss. Hannah beschrieb die Szene einen Tag später so: »Gestern sagte mir das Ekel Hitler: ›Wollen Sie, dass Ihre Kinder in der Gosse aufwachsen?‹ A propos des Juifs. Er ist ein Wahnsinniger.«
Hannah spielte damit auf einen Vorfall an, der sich bei dem Empfang ereignet hatte und auch ihren Bruder Otto betraf. Direkt in der Schlange vor Otto hatte sich Prinz Berthold von Baden bei Hitler für Kurt Hahn, den Leiter der Internatsschule Salem, eingesetzt. Hitler bekam einen Wutanfall und schrie: »Jeder scheint seinen Hausjuden zu haben! Das muss jetzt aufhören! Ich dulde keine Ausnahmen!« Nun kam Otto von Bismarck an die Reihe. Er hatte eine kleine Ansprache vorbereitet, bei der er u. a. ausführte: »Mein Führer. Es gehen Gerüchte um, dass extreme Elemente in der Partei terroristische Anschläge gegen einen gewissen Teil der Bevölkerung (die Juden) planen. Aus moralischen Gründen wie auch wegen des ungünstigen Widerhalls im Ausland wären solche Ausschreitungen äußerst unangebracht«. Otto wischte sich an dieser Stelle mit dem Taschentuch über die schweißnasse Stirn und wiederholte »… äußerst unangebracht.« Hitler reagierte mit einer Suada von Beschimpfungen: »Hier glaubt wohl jeder, eine eigene Meinung haben zu müssen …« Auf dem Nachhauseweg mit Hannah murmelte der niedergeschlagene Otto: »Grässlich, grässlich.«
Auf einer Italienreise notierte Hannah einige Wochen später, am 24. Mai 1933, nach dem Studium von Hitlers Handschrift: »I give him six or seven successful years, then horror for all of us.« Einige Wochen danach, anlässlich eines Mittagessens im
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