Die Bismarcks
der Verwandten glaubte die Regimegegnerin sicher zu sein und nahm kein Blatt vor dem Mund. Das sollte sich rächen. Sie wurde von einem oder mehreren der bei den Gesprächen Anwesenden denunziert. Es blieb dann dem ehemaligen Vizekanzler und amtierenden deutschen Botschafter in Wien, Franz von Papen, vorbehalten, die Infamie des Vorgangs noch zu steigern. Er sandte Berichte nach Berlin, die die gemeinen Denunziationen bestätigten.
Bei der Rückkehr nach Berlin eilte Hannah vom Bahnhof ins Hotel Esplanade, um Korrespondenz zu erledigen. Sie wurde dort von der Zollfahndung wegen angeblicher Devisenvergehen verhaftet und sieben Stunden lang verhört. Gleichzeitig wurde ihr Haus in Potsdam durchsucht. Die Gestapo entdeckte ihre Korrespondenz mit Jessen. Jessen war drei Tage zuvor, am 26. Oktober 1937, inhaftiert worden und kam erst am 9. November 1937 wieder frei. Der Inhalt der Briefe Jessens war politisch heikel genug, aber zum Glück nicht so brisant wie Hannahs eigene Briefe an den Freund, die aber glücklicherweise unentdeckt blieben. Die tumben Untersuchungsbeamten verloren später rasch das Interesse an der riesigen Korrespondenz politisch-philosophischen Inhalts. Die Beschuldigungen gegen Hannah mussten in vollem Umfang zurückgenommen werden, sollten im Sommer 1944 aber nochmals eine Rolle spielen.
Hannah kam schließlich noch am Tag ihrer Festnahme frei, weil ihr Bruder Gottfried in voller Montur auf der Bildfläche erschien. Der Regierungspräsident hatte seine SS -Uniform angezogen. Er nahm nach einem kurzen Wortwechsel mit den Fahndern seine Schwester nach Potsdam mit. Aber schon wenige Monate später erschien am 18. Januar 1938 ein Polizeibeamter bei Hannah und zog ihren Reisepass ein. Sie stand zu diesem Zeitpunkt wegen der anhaltenden finanziellen Probleme völlig mittellos da. Danach beruhigte sich die Lage wieder. Hannah bekam ihren Pass zurück und fuhr im August 1938 nach London. Dort hielt sich zur selben Zeit ihr ältester Sohn Wolfgang auf. Am Jahresende 1938 notierte Hannah in ihrem Tagebuch: »Ich sage Krieg voraus. Ich möchte Frieden. Ich erwarte nichts.«
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war Hannah wenige Tage zuvor von einem Aufenthalt in der Schweiz nach Potsdam zurückgekehrt. Der Verkauf eines kostbaren chinesischen Seidenteppichs hatte ihre finanzielle Lage schlagartig gebessert.
Goedela, die jüngere Schwester, stand in diesen Jahren in engstem Kontakt mit Hannah. Sie teilte zusammen mit ihrem Ehemann die Einschätzung der Schwester über die Nationalsozialisten. Auf Anordnung von Propagandaminister Joseph Goebbels wurde Hermann Graf von Keyserling im März 1934 eine Vortragsreise nach Spanien untersagt. Die Schwäger Otto und Gottfried intervenierten bei Goebbels zu seinen Gunsten. Der Reichspropagandaminister war daraufhin bereit, unter der Bedingung einzulenken, dass Keyserling sich in seinen Beiträgen politischer Äußerungen enthalte. Als Otto ihm diesen »Kompromiss« unterbreitete, lehnten Goedela und ihr Mann den Vermittlungsversuch rundherum ab. Nun war Otto deutlich verärgert. Einige Wochen später wurde Keyserling von den hessischen Behörden ausgebürgert und erhielt einen Fremdenpass.
Im Oktober 1934 stellte sich Goedela urplötzlich gegen ihre ältere Schwester und schrieb, dass Hannah die Hauptagitatorin gegen die Brüder sei. Möglicherweise spielte Mutter Marguerite dabei im Hintergrund eine Rolle als Nachrichtenzentrum und Informationsverteiler. »Eine tolle Familie«, merkte Hannah in ihrem Tagebuch an. Danach herrschte zwischen den beiden Schwestern anscheinend für einige Zeit Funkstille.
Innerhalb der Gruppe der fünf Bismarck-Enkel befand sich Goedela offenbar in einer Außenseiterrolle. Der Kontakt zu ihren Geschwistern war nicht so eng wie die Verbindung der anderen vier untereinander. Bei den Brüdern genoss Hannah einen besonderen Respekt. Sie verhielten sich ihr gegenüber vorsichtig, denn sie besaß einen starken Willen und Autorität.
1939 mussten die Keyserlings ihren Wohnsitz und das Archiv im Darmstädter Prinz-Christiansweg 4 verlassen. Hermann drohte die Verhaftung. Albrecht hatte im fernen Rom den eher harmlosen Flirt mit dem Regime längst beendet. Der künstlerisch orientierte Mann hatte schon 1934 den Gewaltcharakter des Dritten Reichs erkannt und lehnte seitdem die Diktatur rundheraus ab. Bei seinen beiden Brüdern sah dies, in Abstufungen, jedoch zunächst noch anders aus.
Otto, von seinem Londoner Posten vorübergehend
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