Die Bismarcks
abstürzen und alle krepieren, aber nicht hier, sonst haben wir bloß unangenehme Arbeit damit.« 36
Aufgrund seiner gesellschaftlichen und beruflichen Kontakte, vor allem zum Außenminister und dessen Kabinettschef, war Otto besser über die Lage informiert als der Botschafter. Bismarck riskierte noch einmal Kopf und Kragen, als er gegenüber Ciano andeutete, dass der deutsche Angriff auf die Sowjetunion unmittelbar bevorstehe. 37 Otto selbst rechnete im Sommer 1941 mit einem raschen Erfolg der Wehrmacht gegen die Rote Armee. Er sah aufgrund von Informationen aus deutschen Militärkreisen voraus, dass man aus den Gefangenen nun »fünf Millionen Sklaven« machen werde. Einige Wochen später folgte er einer privaten Einladung von Ciano, das erste Septemberwochenende 1941 zu viert in Livorno, dem Heimatort des Außenministers, zu verbringen.
Wesentlich klarsichtiger beurteilte Otto die Lage wenige Monate später, in den Weihnachtstagen 1941. Angesichts der verlorenen Winterschlacht vor Moskau sagte er: »Wir sind im 5. Akt der Tragödie. Das beweist, dass Hitler ein Idiot ist.« 38 Ab dem dritten Glas Wein, so der Bericht eines deutschen Zeitungskorrespondenten, habe Bismarck seine Abneigung gegenüber dem »Gröfaz«, dem »Größten Feldherrn aller Zeiten,« wie Hitler verspottet wurde, kaum verbergen können. 39 Über die NS -Elite, vor allem über die Frauen der Partei- und Staatsspitze, urteilte Bismarck mit gnadenloser Schärfe.
Im März 1942 begleitete Albrecht seine Schwägerin zum Skifahren nach St. Moritz. In Rom war die Zeit der rauschenden Feste und Empfänge inzwischen vorbei. Der Gesandte ging nicht mehr aus, aß mittags und abends in der Residenz und führte ein ruhiges Leben. Da er sich gegenüber dem italienischen Außenminister und seinen Diplomaten nicht die geringste Zurückhaltung auferlegte, begab er sich auch in ihre Hand. Einmal bat er Ciano, ihn unter keinen Umständen zu verraten. Cianos Tagebücher wurden später zum Politikum. Zum Glück für ihn und die Bismarcks fielen sie dem NS -Regime nach dem Ausstieg Italiens aus dem Krieg nicht in die Hände. Im Februar 1942 notierte Ciano: »Bismarck scheint von düsterem Pessimismus erfüllt zu sein; er war es immer.« Die Sorgen der Römer und damit der Bismarcks wuchsen, als Neapel Anfang Dezember 1942 Ziel eines Tagesangriffs alliierter Bomber wurde. Sarkastisch schrieb Otto wenige Tage später nach Hause, dass er ein ruhiges, erholsames Weihnachtsfest erwarte, »ohne Störungen durch den Feind«. Am 10. Januar 1943 notierte Ciano schließlich, dass nach Ansicht des deutschen Gesandten der Krieg verloren sei.
Auch Ann Mari hatte sich längst zu einer Realistin mit großer Distanz zum NS -Regime gemausert. Mit ihren Kommentaren zur Lage beeindruckte sie die italienischen Gastgeber. Aber sie beließ es nicht dabei. Ende 1942 sollte der Direktor der Deutschen Schule, auf die ihr Sohn Ferdinand ging, abberufen werden. Angeblich hatte er »Feindpropaganda« betrieben. Ann Mari organisierte den Protest der Eltern. 40 Wenige Wochen zuvor, im Oktober 1942, war Himmler nach Rom gekommen und hatte mehrere Begegnungen mit ihrem Mann gehabt. Man belauerte sich gegenseitig. Verwirrt registrierte der Reichsführer SS , der wegen der Deportation der Juden in der Stadt war, die für ihn fremde Welt eines internationalen Clubs. Himmler interessierte sich bei seinem Aufenthalt aber auch für die Frage, wann Ottos Bruder Albrecht nach Deutschland zurückkommen und endlich die Uniform der Wehrmacht anziehen werde.
Der Druck, der in Rom auf den Bismarcks lastete, war groß. Ferdinand, das zweitälteste Kind, hatte vorübergehend erhebliche schulische Probleme. Ann Mari, in wachsender Proteststimmung, ließ verlauten, sie sei nur deswegen prodeutsch, »weil sie Otto geheiratet« habe. Im Januar 1943 wurde Ciano abgelöst, Mussolini übernahm zusätzlich das Außenministerium, ohne sich ernsthaft um diesen Bereich zu kümmern. Die Achse Berlin-Rom befand sich im Zustand der Auflösung. Bismarck traf am 27. Januar 1943 mit dem Duce zusammen und übergab ihm im Auftrag der Stadt Bremen ein ungewöhnliches Geschenk: ein Pferd.
Bismarcks Berichte an das Auswärtige Amt waren präziser und zutreffender als die des Botschafters. Mackensen gab Ottos Erkenntnisse jedoch nicht weiter. Gelegentlich behalf sich Otto damit, dass er seine Beobachtungen dem Militärattaché zuspielte, der eigene Berichte nach Deutschland schickte. Insgesamt setzte Otto der
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