Die Bismarcks
Sommer 1943, als er sich einer Weisung von Ribbentrop widersetzte, kroatische Juden an das Dritte Reich auszuliefern. Es ging um Internierte in jenem Teil Kroatiens, den Italien besetzt hielt. Otto informierte Außenminister Ciano zwar über den Vorgang, signalisierte ihm aber gleichzeitig, dass die Angelegenheit keine Eile habe. Der Gesprächspartner verstand den Wink. Die Bereitschaft zur Sabotage der deutschen Forderung im Außenministerium und bei den italienischen Kommandeuren vor Ort wurde dadurch ermutigt und verstärkt. Erneute Vorstöße Ribbentrops gingen ins Leere. Die internierten kroatischen Juden schlossen sich nach dem Ausstieg Italiens aus dem Krieg den jugoslawischen Partisanen an. Die meisten überlebten das Kriegsende.
Nach der Entmachtung Mussolinis am 24./25. Juli 1943, die Bismarck offenkundig überraschte, suchte man in Berlin nach Schuldigen für die Fehlbeurteilung der Lage. Am 5. August 1943 wurde Botschafter von Mackensen nach Deutschland zurückberufen, Otto wurde Geschäftsträger. Er hatte nach dem Sturz von Mussolini das Bild des »Duce« in seinem Bürozimmer abgehängt in der Hoffnung, am kommenden Tag auch das von Hitler zerstören zu können. 43
Philipp von Hessen, der Freund von Ottos jüngstem Bruder Albrecht aus gemeinsamen Zeiten in Rom während der 1920er-Jahre, wurde nach dem Abgang von Mussolini als Sonderhäftling in das KZ Buchenwald gebracht. Die SS verhaftete auch seine Frau Mafalda in Rom und flog sie nach Deutschland aus. Die Mutter von vier Kindern starb 1944 an den Folgen von Verletzungen, die sie bei einem Luftangriff auf das KZ Buchenwald erlitten hatte. Philipp von Hessen hatte für Hitler vorübergehend eine wichtige Rolle gespielt, weil er ihn beim Erwerb von Gemälden für das geplanten Kunstmuseum in Linz beriet. In Wirklichkeit waren dies europaweite Raubzüge, die in Italien bis zum heutigen Tag nicht vergessen sind. Der enge Kontakt zwischen Philipp von Hessen und Albrecht, die Zahl der gemeinsamen Kunstreisen in diesen Jahren, lassen vermuten, dass Albrecht von Bismarck an diesen Aktionen beteiligt war. 44 Otto hat einer solchen Annahme im Dezember 1949 widersprochen, kurz nachdem die Frankfurter Allgemeine Zeitung über eine Verstrickung seines Bruders in die Kunstraubzüge berichtet hatte. 45 Für Albrecht und seine Unschuld spricht am Ende neben seiner Italienliebe und der ablehnenden Haltung gegenüber dem NS -Regime, dass seine Popularität in Rom auch nach 1945 ungebrochen war.
Am 31. August 1943 wurden von Mackensen und Otto von Bismarck offiziell von ihren Posten abgelöst. Die Bismarcks hatten nur drei Tage Zeit, ihren Wohnsitz zu verlassen und das Inventar aufzulösen. Ihre Möbel gingen an die Adresse von Weizsäckers. Mit einem der letzten Nachtzüge, bevor der Ausstieg Italiens aus dem Krieg das Land vorübergehend lahmlegte, reisten die Bismarcks über Tarvisio nach Wien und von dort nach Berlin. Die Nachricht vom Waffenstillstand in Italien erreichte Otto am 8. September 1943 in Berlin, als er mit seinem Bruder Gottfried und Helldorf in dem bekannten Restaurant Horcher speiste.
Seit Ende September 1943 war Otto wieder in Friedrichsruh. Nach einer Unterbrechung von zehn Jahren war er auf seine Güter zurückgekehrt. Wenige Wochen zuvor hatte es dramatische Tage und Stunden in Friedrichsruh gegeben, als eine Flüchtlingswelle den Bismarck’schen Besitz förmlich überrollt hatte. Es waren die Überlebenden und Ausgebombten Hamburgs, die die Stadt nach dem Bombardement und den Flächenbränden in den letzten Julitagen 1943 verlassen hatten. Hunderte von Menschen, orientierungslos und verzweifelt, hatten sich am Ende gewaltsam Zugang zum Schloss verschafft, und nur mit Mühe war es den verbliebenen Bediensteten und der örtlichen Polizei gelungen, den Strom der Menschen zu ordnen und zu kanalisieren. Ein Sonderzug beförderte die Flüchtlinge bald darauf nach Mecklenburg weiter.
Die Nachrichten, die Otto aus Italien erhielt, waren ebenfalls unerfreulich. Am 1. Oktober 1943 schrieb er seiner Mutter, er sei froh, »aus Rom fort zu sein«. Zusammen mit seiner Frau unternahm er im November 1943 eine Reise nach Schweden. In Berlin kursierten Gerüchte, dass die britische Regierung den Aufenthalt von Bismarck mit einer Friedensinitiative in Verbindung bringe. 46 Auf dem Papier leitete Otto nun offiziell die Italien-Abteilung des Auswärtigen Amtes. Am 25. November 1943 wurde er jedoch in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
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