Die Bismarcks
noch ein zweites Mal. Hannah telegrafierte zurück, dass sie am 18. September 1944 nach Berlin kommen werde. Danach erkrankte sie aber ernstlich, sodass sie ihre Abreise bis Anfang November 1944 verschieben musste. Noch einmal sah sie ihren Bruder Albrecht in Basel. Tochter Marguerite schickte unterdessen fortlaufend Telegramme.
Die Gestapo entsandte Marguerite Anfang November 1944 an die Grenze zur Schweiz, um die herzkranke Mutter abzuholen. Hannah reiste am 7. November 1944 mit Tochter Maria von Basel an und übernachtete in Kreuzlingen. Was ihr bei vielen Grenzübertritten von und nach der Schweiz während der zurückliegenden 20 Jahre nie passiert war, geschah nun: Hannah wurde vom Schweizer Zoll schikanös kontrolliert. Man nahm ihr den Reiseproviant und Utensilien wie ein Stück Seife ab. Darüber hinaus musste sie eine Strafe von 200 Franken zahlen. In Deutschland wurden die beiden hingegen freundlich durchgewinkt. Soldaten halfen, das umfangreiche Gepäck in Konstanz auf ein Schiff zu befördern, das nach Friedrichshafen abging. An Deck begrüßte Marguerite die beiden Heimkehrer und berichtete ihrer Mutter, dass die Gestapo alle Vorsorge getroffen habe, um Hannah ohne größere Reisestrapazen nach Berlin zu bringen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Bodensees sah Hannah eine schwer zerstörte Stadt, einen Trümmerhaufen, wie sie im Tagebuch notierte, in dem die Menschen im Herbstregen nach ihren letzten Habseligkeiten suchten.
Am 9. November 1944 trafen die drei per Schlafwagen in Berlin ein. Hannah war sehr angespannt. Bereits der Abschied von den in der Schweiz verbliebenen Söhnen und der Grenzübertritt unter entwürdigenden Bedingungen hatten sie außerordentlich mitgenommen. Wegen Herzanfällen musste sie in die Charité eingeliefert werden. Dann begannen die Verhöre, und wieder hatte die Familie großes Glück, denn am Bett von Hannah erschien kein Gestapo-Mann, sondern der Kommissar Opitz, ein Sachse und gelernter Polizeibeamter. Wegen der urbanen Manieren des Kriminalbeamten erhofften sich Müller und Huppenkothen, die entscheidenden Köpfe in der Sonderkommission IV , wichtige Informationen aus Mitgliedern des deutschen Adels herauszuholen.
Hannahs Gesprächsstrategie, nichts zu sagen und ihrerseits in die Offensive zu gehen, wenn sich eine Chance dazu bot, war erfolgreich, wie ein Wortwechsel zwischen ihr und Opitz zeigt, den sie in ihrem Tagebuch festhielt. Opitz: »Sie scheinen wirklich keine Angst zu haben.« Hannah: »Angst vor Menschen? Und vor Nazis? Wie sollte ich? Ich habe Ihnen hundertmal gesagt, dass ich nicht zu Ihnen gehöre, dass Sie mir fremd sind, dass ich gewiss kein Verschwörer bin, aber dass ich besser wie irgendein Mensch weiß, was ich von Ihnen allen zu halten habe.«
Hannah beeindruckte den Pfarrersohn Opitz mit solchen Ausführungen. Opitz wollte sie und ihre Tochter Philippa retten und tat es am Ende auch, indem er die Aussagen der Verhörten umformulierte und umschrieb. Hannah räumte lediglich ein, ihren Bruder Albrecht aus familiären Gründen zweimal in der Schweiz getroffen zu haben. Bereits am 20. November 1944 waren die Verhöre beendet. Zwei Tage später notierte Hannah in ihrem Tagebuch: »Ich bin heute 51 Jahre alt und gehe voller Angst und Grauen in dieses neue Jahr hinein. Ich weiß so gut, wie entsetzlich all das sein wird, was kommt, aber am meisten fürchte ich die Russen, die ja in jeder Richtung das Heft in der Hand haben und eine Ultra-Hitlerei darstellen, da Stalin klug, währenddessen Hitler bodenlos dumm ist.«
Zu den Fällen, die Opitz 1944 bearbeitete, gehörte auch der von Alfred Kranzfelder, einem Korvettenkapitän, der in der Seekriegsleitung für die Feindlagebeurteilung zuständig war. Kranzfelder zählte zu den wenigen Marineoffizieren, die erklärte Hitler-Gegner waren. Er hatte sich aus diesem Grund dem deutschen Widerstand angeschlossen. Während des Krieges wurde er in Schweden als Kurier eingesetzt und streckte Friedensfühler nach Westen aus. Kranzfelder war Vorgesetzter von Sydney Jessen, Hannahs Freund, der Ende der 1930er Jahre auf Distanz zum Nationalsozialismus gegangen war und nun in der Nähe von Kranzfelder die gegnerischen Marinebewegungen beobachtete.
Kranzfelder wurde schon im Juli 1944 verhaftet und am 10. August 1944 hingerichtet. Opitz versuchte ihn zu retten, es gelang ihm jedoch nicht. Jessen, der mit Hannah im Laufe der Jahre ca. 1000 Briefe ausgetauscht hatte, wurde ebenfalls in
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