Die Bismarcks
schien sicherer geworden, als sich das Schweizer und das schwedische Konsulat in der Schlussphase des Krieges hier einquartierten. Gelegentlich reiste Ann Mari in schwedischen Autos nach Berlin, um der Familie rar gewordene Lebensmittel zu bringen. Sie übernachtete dann aber nicht in Potsdam, sondern bei den Anfusos am Wannsee.
Der alte Bürochef von Ciano war nun Botschafter auf verlorenem Posten in Berlin. Als er im September 1944 einmal nach Friedrichsruh kam, waren britische Fallschirmjäger gerade in Arnheim gelandet. Der direkte Weg nach Berlin schien für die Westmächte für einen Augenblick lang offen. Otto wollte mehr über die Ereignisse wissen, traute sich aber nicht, den Feindsender BBC einzuschalten. Er hatte Angst, von seinen Bediensteten bei den Behörden denunziert zu werden. Erst als der Haushofmeister hinauskomplimentiert worden war, hörte man London für einige Augenblicke. 62
Schwager Gottfried, auf wundersame Weise der KZ -Haft entkommen, kam am 11. Februar 1945 nach Friedrichsruh, seine Frau mit einem Teil der Möbel aus Potsdam eine Woche später. Gestapo-Müller hatte angeordnet, dass sich der ehemalige Regierungspräsident nur in Friedrichsruh oder in Reinfeld aufhalten durfte. Dort waren aber schon die Russen. Einer Tante gelang es, auf einer achttägigen, beschwerlichen und sehr gefährlichen Reise die drei Kinder von Melanie und Gottfried von Hinterstoder im Traunviertel nach Friedrichsruh zurückzubringen.
Die Bismarcks 1945
Otto und Gottfried waren zusammen mit ihren Ehefrauen in den letzten Wochen des Dritten Reichs mit ihrer Mutter in Friedrichsruh vereint. Albrecht befand sich im Tessin in der Schweiz. Hannah lebte weiterhin in Potsdam, die Schwester Goedela in einem Sanatorium in Oberbayern.
Im Oktober 1942 war ihr ältester Sohn Manfred bei Stalingrad schwer verwundet worden. In äußerst kritischem Zustand wurde er im Dezember 1942 nach Krakau gebracht, wo ihn seine Mutter besuchte. Sie blieb wochenlang bei ihm. Dem Jungen musste das rechte Bein knapp unterhalb der Hüfte amputiert werden, das andere Bein wurde ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen und wurde steif. Der jüngere Sohn Arnold, ebenfalls an der Front eingesetzt, hatte den Krieg unverletzt überlebt.
1943 hielt sich Goedela mit ihrem Mann vorübergehend in Schönhausen auf, wo sich Hermann zum Kummer seiner Schwager an den Weinvorräten schadlos hielt. Im September 1944 wurde das Haus der beiden auf der Darmstädter Mathildenhöhe zusammen mit einem Teil des Nachlasses von Hermann zerstört.
Die beiden anderen Bismarck-Sitze aus der Zeit des Reichskanzlers, Schönhausen und Varzin, erlebten eine Art Ruhe vor dem Sturm. Ein Besucher des Ortes notierte, dass man in Schönhausen noch wenig vom Krieg merke: »Das Schloß, Geburtshaus Bismarcks, ein etwas baufälliges Gebäude, mit schiefen Decken und Wänden, ist vollgestopft mit Gerümpel, das aus Pietät nicht angerührt werden darf.« 63 Wenige Wochen später traf Hannah von Bredow und ihre Familie ein schwerer Verlust. Ihr ältester Sohn Wolfgang fiel bei den aussichtslosen Abwehrkämpfen der Wehrmacht unweit von Varzin. Er war kurz zuvor auf persönliche Anweisung von Himmler als Kommandeur zu einem Infanterieregiment versetzt worden. Wegen seines Namens von Bredow hatte er keinen Weihnachtsurlaub erhalten, wie ihm der militärische Vorgesetzte mitteilte. Aufgrund der engen Zusammenarbeit eines Onkels mit dem letzten Reichskanzler der Weimarer Republik, Kurt von Schleicher, war der Name Bredow den Nationalsozialisten absolut verhasst. Hannah hatte ihren Jungen zum letzten Mal am 15. November 1944 gesehen, als er zu Hause Uniformsachen abholte. Er hatte an diesem Tag auch zwei Stunden mit seinen inhaftierten Schwestern ungestört sprechen können.
Das sogenannte Regiment, das Wolfgang nun befehligte, bestand aus 16- bis 18-jährigen Fahnenjunkern, also der letzten Reserve, die das fanatische Regime aufzubieten hatte. Der infolge von zwei Kriegsverwundungen körperlich stark eingeschränkte Bredow, eigentlich Artillerieoffizier, wurde mit seiner Einheit aus der Luft bei aussichtslosen Einsätzen gegen die Rote Armee abgesetzt. Im Februar 1945 wurde er als vermisst gemeldet. 64 Aber er lebte noch. Einmal gelang ihm mit dem verbliebenen Häuflein von fünf Soldaten der Ausbruch aus einem Kessel. Die Gruppe kampierte »wie das Wild in den Wäldern«, wie eine Tagebuchnotiz von Hannah lautet. Beim nächsten Versuch fiel der 23-jährige Oberleutnant, nach
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