Die Bismarcks
Augenzeugenberichten am 10. März 1945, in der Nähe von Dramburg in Pommern.
Seine Mutter, seine Geschwister, seine Cousinen und Neffen hatten sehr an dem beeindruckenden, zarten jungen Mann gehangen, der auch außerhalb der Familie viele gute Freunde hatte. Wenn Wolfgang den Krieg überlebt hätte, wäre er wohl Arzt geworden. Als 1939 der Zweite Weltkrieg bevorstand, befand er sich in Großbritannien. Seine Mutter riet ihm zu bleiben; englische Freunde der Familie hätten ihn aufgenommen. Aber Wolfgang wollte das Schicksal seiner Schulkameraden und Freunde teilen und kehrte in die Heimat zurück.
Über diesen schwierigen Moment in seinem Leben berichtete er, als seine Batterie als Teil der Potsdamer Infanteriedivision 23 im Dezember 1941 vor Moskau lag. Alle hörten dem jungen Gefreiten gebannt zu, der die Weltlage aus seiner Sicht ironisch-sarkastisch kommentierte und über seine Reisen und Begegnungen in England erzählte. Wolfgang war in den 1930er-Jahren bei mehreren Aufenthalten sowohl Gast bei seinem Onkel Otto gewesen als auch bei englischen Freunden der Familie. Katastrophales war dem jungen Bredow über Botschafter von Ribbentrop zu Ohren gekommen. Mit dem stereotyp gezeigten »deutschen Gruß« habe er die britische Oberschicht und das ganze Land gegen Deutschland aufgebracht. Wolfgang hatte damals erlebt, wie die Deutschen bei gesellschaftlichen Anlässen geschnitten und übersehen wurden. Freunde und Verehrer der Familie hätten ihm seinerzeit gesagt, so berichtete Wolfgang seinen Kameraden kurz vor Weihnachten 1941 in Russland weiter, dass Hitler und seine Leute die ganze Welt in eine Katastrophe stürzen würden.
Derweil herrschte in der Familie große Sorge, wie es dem Jungen an der Ostfront erging. Die schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Durch einen Cousin erfuhr Hannah, dass ihr Sohn bei dem überstürzten Rückzug Ende Dezember 1941 verwundet worden war und in kritischem Zustand in einem Lazarett in Smolensk lag. Mitte Januar 1942 erhielt sie schließlich ein Telegramm von Wolfgang mit der Bitte, ihn im ostpreußischen Tapiau zu besuchen. Sie kam dort am 18. Januar 1942 an. Ihr Sohn erkannte sie nicht mehr, sein Herz war schon schwach. Sie blieb vier Wochen bei ihm, kämpfte um den Jungen, der sich schließlich erholte und nach Königsberg in ein gut ausgestattetes Militärlazarett überführt wurde. Die drohende Amputation eines Beins konnte vermieden werden, als es Hannah Anfang März 1942 gelang, den jungen Mann nach Potsdam zu bringen. Wolfgang befand sich nun in den Händen von Professor Rosenbach, einem Freund der Familie. Der Professor rettete Wolfgang, der sich nach und nach von seinen Verwundungen und Erfrierungen erholte.
Hannahs Bruder Otto lud ihn bald darauf zu einem Aufenthalt nach Rom ein. Besonders schöne Tage verbrachte Wolfgang auf Capri, wahrscheinlich die letzten guten Zeiten in seinem jungen Leben. Im April 1943 kehrte er zur Truppe zurück und wurde in Küstrin stationiert. Nach dem Besuch eines Offizierslehrgangs kam er im Sommer 1943 in die Gegend von Châlons-sur-Marne. Dort entstanden Freundschaften mit französischen Alterskameraden und Kontakte zur Résistance. Sie führten dazu, dass junge Franzosen, die nach Deutschland verschleppt worden waren, von Wolfgangs Onkel Gottfried mit gefälschten Papieren versorgt wurden und in die Heimat zurückkehren konnten.
Nach dem 20. Juli 1944 wurde ein Haftbefehl gegen Wolfgang ausgestellt. Himmler, der ein Auge auf die dritte und vierte männliche Bismarck-Generation geworfen hatte, sorgte dafür, dass Wolfgang zu einer Einheit kam, in der die in den Augen des Regimes politisch Unzuverlässigen konzentriert waren.
In den letzten Kriegswochen begannen die Todesmärsche der KZ -Insassen. 65 Der Vizepräsident des Schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte, versuchte seit Mitte März 1945 nach erfolgreich verlaufenen Verhandlungen mit Himmler, die 7000 skandinavischen KZ -Insassen zu retten, die über viele Standorte in Deutschland verstreut waren. Er war mit Ann Mari von Bismarck zur Schule gegangen, mit Einheiten der schwedischen Armee kam er nun nach Friedrichsruh. Die älteren Offiziere wohnten im Schloss, der Stab war in einem Gasthof untergebracht. Die Mannschaften kampierten in Zelten in der Umgebung. In den legendären weißen Bussen wurden die Menschen aus den Vernichtungslagern Ravensbrück, Sachsenhausen und Theresienstadt zum KZ Neuengamme gebracht, das nur wenige Kilometer von
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