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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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während sweet man oder other man einen Nebenmann meint. Besteht zu diesem eine längere Beziehung oder hat man gar Kinder mit ihm, wird er zum daddy.
    Niemals benutzen die schwarzen Musiker die typisch weißen Beziehungs- und Ehebegriffe wie wife, husband, girlfriend, darling, sweetheart, es sei denn zu ironischen Zwecken.
    Es verblüffte Dengler, dass in dem Black American English offenbar eine ähnliche Wertschätzung vorherrschte, wie sie die Weißen
     auch pflegten: je heller die Hautfarbe, desto höher das soziale Prestige. In den Bluessongs, die Dengler nun auflegte, machte
     es einen enormen Unterschied, ob der Sänger von einem yellow girl, einer brownskin woman oder gar einer black mama sang.
    Das Elend der Liebe nimmt bei einem Wandermusiker, wie Robert Johnson sein ganzes junges Leben lang einer war, andere Formen
     an. Er muss weiterziehen, wenn die Frau sich von ihm abwendet, bei der er unterschlüpfen konnte.
    I got ramblin', I got ramblin' on my mind.
    I got ramblin', I got ramblin' all on my mind.
    Hate to leave my baby, but you treats me so unkind.
    Dann las Dengler die Klageschrift der Bundesanwaltschaft, und er schob das Textbuch in die unterste Schublade seines Schreibtisches.
     Sie warfen Greschbach die Herstellung und Anbringung der beiden tödlichen Bomben vor. Er rief Dr. Kobl an, den zuständigen
     Bundesanwalt in Karlsruhe, und erklärte ihm, dass Greschbach das nicht getan haben konnte. »Greschbach ist unfähig, eine Schweißnaht
     zu legen«, sagte er, »ich habe den Mann gejagt und kenne ihn besser als er sich selbst. Er ist vollkommen unpraktisch.«
    Dr. Kobl bedankte sich für die Informationen und legte auf. Ein paar Wochen später erfuhr Dengler, dass die Klageschrift ohne
     Änderung beim OLG Stuttgart verlesen wurde. Er rief erneut den Staatsanwalt Kobl an. Und der hörte erneut zu.
    »Sie sind der Fahnder, der Greschbach verhaftet hat«, sagte er dann.
    »Ja.«
    »Sie haben erstklassige Arbeit geleistet. Das wissen wir hier. Aber Ihre Arbeit endet mit Ihrem Bericht. Jetzt sind wir am
     Zuge – und wir arbeiten nicht minder professionell als Sie.«
    »Aber Greschbach kann mit der technischen Seite des Attentats nichts zu tun gehabt haben. Wo soll er denn die Fertigkeiten
     dazu erworben haben?«
    Dr. Kobls Stimme wurde scharf, als stünde er vor Gericht. »Kümmern Sie sich um Ihre Dinge und lassen Sie uns unsere Arbeit
     machen!«
    »Aber ...«
    »Sie werden schon sehen. Er wird so verurteilt werden, wie es die Anklageschrift verlangt und das Verfahren es beweisen wird.«
    Und legte auf.
    Dengler fuhr am nächsten Tag nach Stuttgart-Stammheim und setzte sich in den Verhandlungssaal.
    * * *
    Als er nach Wiesbaden zurückkam, stieg er nicht die Treppe zu den Büros der Fahnder im ersten Stock hinauf, sondern blieb
     im Erdgeschoss. Betont unauffällig schlenderte er durch den langen Flur, blieb hin und wieder stehen, um ein Schild an einer
     der Türen zu studieren, hinter denen die zahlreichen Stabsstellen des Abteilungsleiters Terrorismus untergebracht waren. Bei
     einigen Dienststellen hatte er keine Vorstellung davon, was sie den ganzen Tag über taten.
    Am Ende des Ganges befand sich das Büro von Dr. Schweikert, seinem Gruppenleiter. Dr. Schweikert lebte in einer Art interner
     Verbannung in diesem Büro. Er galt als ausgezeichneter Polizist, aber als jemand ohne jegliches politische Gespür. Aus diesem
     Grund war seine Karriere mit dem Titel Kriminaloberrat beendet, obwohl viele Beamte ihn für den fähigsten Ermittler im Amt
     hielten. Dr. Scheuerle hatte ihm diesen hintersten Raum – ein ehemaliges Materiallager – zugewiesen, um allen zu signalisieren,
     dass das Äußerste, was Dr. Schweikert noch zu erwarten habe, seine Rente sei.
    Jeder, der Schweikerts Büro betrat, wurde immer wieder aufs Neue von den eigenartigen Disproportionen der Raumeinrichtung
     überrascht. Die genormten Dienstmöbel drängten sich in der hinteren Ecke des Zimmers zusammen, so als wollten sie jedem Besucher
     entgegenschreien, dass dies früher das Materiallager der Abteilung gewesen sei. Und jeder Besucher musste die sechs Meter
     in Richtung dieser zusammengedrängten Möbelgruppe zurücklegen, doch diese Wegstrecke und Raumaufteilung symbolisierten für
     niemanden Bedeutung oder Macht des hier Herrschenden, wie es im holzgetäfelten Büro des Abteilungsleiters der Fall war, sondern
     brachten jeden Besucher zu derselben Erkenntnis: Hier ist jemand nur provisorisch und vorübergehend

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