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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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und CDs. Vielleicht bekam er dort einige Aufnahmen von Junior Wells und Buddy Guy. Er drückte sich an den
     Rand, bis er vor den aufgestellten Tapeziertischen stand. Er deutete auf eine CD von Wells mit dem Titel »Southside Blues
     Jam«. Ein langhaariger dünner Typ mit einem schwarzen T-Shirt mit dem Aufdruck »Clapton Is God« kassierte das Geld. Eine Art
     kindlicher Vorfreude übermannte ihn.Der Mann, der in der Schlange hinter ihm stand, verlangte die gleiche CD.
    In besserem Englisch, aber mit dem gleichen deutschen Akzent.
    Dengler drehte sich nach dem Gleichgesinnten um und erkannte Roman Greschbach.
    Dengler folgte ihm.
    Seine Zielperson schlenderte durch den Hyde Park zurück zur Underground und stieg in den hinteren Wagen der nächsten Bahn
     ein. Dengler setzte sich in den Waggon davor und behielt ihn im Auge.
    Die Bahn schlängelte sich durch die Kurven der Innenstadt, dann fuhr sie nach Süden, überquerte die Themse, und in Brixton
     stieg Greschbach endlich aus.
    Dengler verfolgte ihn durch die Läden der hier lebenden schwarzen Bevölkerung, blieb mit ihm an den Garküchen der Inder und
     Pakistani stehen. Schließlich verschwand Greschbach in einem kleinen Haus in der Callington Street.
    * * *
    Zwei Stunden später stürmte ein Spezialkommando der britischen Armee das kleine Zimmer, in dem Greschbach sich versteckte.
     Als drei Soldaten ihn routinemäßig und leidenschaftslos zusammenschlugen, wie sie es bei irischen Gefangenen gewohnt waren
     zu tun, zog Dengler einen der Männer von ihm weg. Dies war sein Gefangener. Er stellte sich Greschbach mit seinem wirklichen
     Namen vor; die englischen Polizisten würde dieses Dienstvergehen, begangen in deutscher Sprache, nicht verstehen.
    »Darf ich mich vorstellen, ich bin Georg Dengler, Ihr Zielfahnder. Ich jage Sie seit über zwei Jahren.«
    »Leck mich am Arsch«, sagte Greschbach und spuckte einen Zahn aus, den die Engländer ihm ausgeschlagen hatten.
    * * *
    Im Amt knallten die Korken. Es gab Sonderurlaub, kleine festliche Veranstaltungen, und Dengler schwebte auf der Super-Bullen-Wolke.
    Er kaufte sich in Wiesbaden einen Satz Lee-Oscar-Harps und zwei Bücher mit Instruktionen sowie eine Doppel-CD mit den neunundzwanzig
     Originalaufnahmen, die von Robert Johnson erhalten geblieben waren und die er bisher nur als Coverversionen von einigen weißen
     Bands kannte: Cross Roads von den Cream, Ramblin' On My Mind und Love In Vain von den Stones, Malted Milk von Clapton und Sweet Home Chicago, nachgespielt von jeder Schülerband der achtziger Jahre, die etwas auf sich hielt.
    Er nahm das Textbuch der CD mit ins Büro, und während er es las, verstand er allmählich: Die schwarze Bevölkerung sprach ihr
     eigenes Englisch, das sich von dem Mainstream-Englisch der Weißen grundlegend unterschied. Dengler leuchtete ein, was der
     Verfasser des Artikels in der Frankfurter Rundschau geschrieben hatte: Das Black American English sei die eigentliche Muttersprache der schwarzen Bevölkerung, die die Kinder in der frühesten Lebensphase lernen und nie wieder
     vergessen. Das Erlernen des Standard-English in der Schule sei für sie wie das Erlernen einer Fremdsprache, denn beide Sprachen
     unterschieden sich vollkommen in ihrer phonetischen, grammatikalischen und syntaktischen Struktur.
    All dies war in den Texten von Robert Johnson greifbar, die Dengler mit angehaltenem Atem studierte. Die Grammatik des Blues:
     das Wegfallen des zweiten Konsonanten bei einem Doppelkonsonanten, das Ersetzen des ing durch das ökonomischere in'; I'm goin' statt I'm going, mornin' statt morning. Auch das Streichen der Anlautvokale – round statt around - sowie das Wegfallen der Nachsilben – fol statt follow – gaben dem Blues und später dem Jazz eine Sprachmelodie, ohne die man sich ihre Poesie nicht vorstellen kann.Besonders faszinierte ihn die viel differenzierte Begrifflichkeit der Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Verwendet Robert
     Johnson oder irgendein anderer Bluesman woman oder my woman, so spricht er von der Ehefrau, die er aber auch mother nennt, während mama die Nebenfrau meint oder besser: die feste Nebenfrau, mit der er vielleicht auch Kinder hat. Baby ist die Freundin, der man Geld gibt, und girl wiederum bezeichnet eine Freundin mit eigener Wohnung ohne finanzielle Zuwendungen.
    Die schwarzen Sängerinnen, Koko Taylor oder Big Mama Thornton, verwenden den gleichen Code umgekehrt. Man oder my man ist der eigene Ehemann oder manchmal auch der father,

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