Die blaue Liste
wieder an die Ordnung gehalten. Und wir haben die nachrückenden Altersgruppen von der verdorbenen Generation
getrennt.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung: »Aber auch von der verdorbenen Generation sind ein paar vernünftig geworden. Sind
heute ja sogar Minister!«
Dengler sah, wie sich ein Schweißtropfen von Scheuerles Stirn löste und sich seinen Weg über das Gesicht des obersten Terroristenjägers
suchte.
»Es gibt keine Unschuldigen in dieser Generation«, flüsterte er, »die meisten sind nur eingeschüchtert.«
Dann fixierte er Dengler.
»Wir können niemanden laufen lassen, den wir wegen Mordes angeklagt haben. Wir ermutigen sie bloß wieder.«
»Greschbach kann die Bombe nicht angebracht haben«, wiederholte Dengler.
»Sie sind einer unserer erfolgreichsten Fahnder. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Der Präsident wird Ihre dienstliche Erklärung
persönlich der Bundesanwaltschaft vortragen. Auf höchster Ebene. Aber wir, das heißt: Sie – Sie werden akzeptieren, was die
damit machen.«
Das war mehr, als Dengler erwartet hatte.
Trotzdem zögerte er mit einer Antwort.
Scheuerle sprang auf und klopfte ihm auf die Schulter.
»Sie sind ein einsichtiger Mensch, Dengler. Ich wusste, dass man mit Ihnen reden kann.«
Dann wandte er sich ab und schritt mit steifen Schritten zurTür. Er hatte die rechte Hand schon auf dem Türknauf liegen, als er sich noch einmal umdrehte.
»Wir werden Sie befördern, Dengler.«
Stille. Scheuerle schmeckte seinem Satz nach.
»Die Kommission Düsseldorf schmort nun schon ein paar Jahre im eigenen Saft und bringt keine Ergebnisse. Wir wollen, dass
Sie dort frischen Wind reinbringen.«
Dann verließ er den Raum und ließ die Tür offen stehen.
Zwei Tage später erhielt Georg Dengler mit der Hauspost die Nachricht, der Chef des BKA werde seine dienstliche Erklärung
in zwei Wochen dem Generalbundesanwalt zur Kenntnis bringen. Eine Woche später wurde er zum neuen Leiter der Kommission Düsseldorf
ernannt. Von seiner Erklärung hörte er nie wieder etwas.
Vielleicht fing mein Unglück an diesem Tag an, dachte Dengler, als durch die Stuttgarter Innenstadt ging. Ich hätte nein sagen
müssen.
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6
»Was soll ich nur schreiben?«
»Ich weiß auch nicht genau. Wir wissen ja noch immer nicht, gegen wen sich die Aktion richtet!«
Uwe Krems kniete mehr auf dem Küchenstuhl, als dass er darauf saß. Kerstin hatte drei Stühle bei IKEA gekauft und mit einer
Öllackfarbe hellblau gestrichen. Den linken Fuß mit den schwarz-roten Ringelsocken versteckte er unter der Kniekehle des rechten
Beines. Seine Kurzsichtigkeit zwang ihn, den Oberkörper weit über die Tischplatte zu beugen, sodass seine Augen direkt über
dem Papier schwebten, eine Haltung, für die ihn seine Deutschlehrerin oft genug gerügt hatte. Er kaute auf dem billigen Kugelschreiber
herum, den Kerstin bei Lidl gekauft hatte. Vier leere weiße Blätter lagen vor ihm auf dem Tisch.
»Man muss auf jeden Fall betonen, dass man kämpfen muss, Kerstin, verstehst du, dass die Leute an unserem Beispiel sehen,
dass es sich lohnt zu kämpfen.«
»Weißt du, was mir nicht gefällt?«
»So 'ne Aktion muss auch ein Beispiel geben für andere. Sie müssen sehen, dass man was machen kann gegen den Staat.«
»Den Namen finde ich problematisch.«
»Aber man darf den Imperialismus nicht verniedlichen. Es muss schon zum Ausdruck kommen, dass wir einen großen Gegner haben,
eine Bestie, genau: die imperialistische Bestie.« So schrieb er es auf: Imperialistische Bestie.
»Wir müssen den Namen noch einmal ausführlich diskutieren«, sagte Kerstin. Sie stand an die Wand neben dem kleinen Küchenfenster
gelehnt, die Hände hinter dem Kreuz verschränkt.
Uwe kratzte sich mit dem Kugelschreiber hinter dem rechten Ohr.
»Und unsere Ziele müssen wir auch reinschreiben – damitdie Massen sehen, für was wir kämpfen, dass sie sich damit identifizieren können«, sagte er.
Wieder beugte er sich über das Papier und schrieb: Für ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben. Dann überlegte er eine Weile und fügte hinzu: Wer nicht kämpft, der stirbt.
»Wir können uns nicht nach Andreas Baader nennen«, flüsterte Kerstin.
Jetzt sah Uwe auf: »Warum nicht?«
»Das ist zu groß, der Name; wir wissen noch nicht, um was es bei der Aktion eigentlich geht.«
»Da wird Heinz nicht einverstanden sein«, sagte Uwe und beugte sich wieder über sein Blatt.
»Warum nennen wir uns
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