Die blaue Liste
Schreibtisch leicht zu erreichen, montierte
er den kleinen Tresor an die Wand, in dem er seine Waffe aufbewahrte, eine Smith & Wesson 357 Magnum mit einem 4-Zoll-Lauf.
Die Pistole lag schon über zwei Jahre unberührt im Tresor, und er würde sie auch nicht ohne zwingenden Grund dort herausholen.
Eine Sitzecke fehlte ihm noch, wo er sich mit Klienten beraten konnte.
Das zweite Zimmer bestand aus noch kaum mehr als seinem schwarzen Metallbett, das er aus Wiesbaden mitgebracht hatte, und
einem langen Schanktisch aus Holz, von dem der Verkäufer behauptet hatte, er stamme aus dem 17. Jahrhundert. Dazu passend
erwarb er bei dem gleichen Händler sechs unterschiedliche Holzstühle. In der Ecke neben dem Fenster hatte er die Plattform
für die Madonna angebracht. In dem kleinen Raum links von seinem Wohn- und Schlafzimmer stapelten sich die noch unausgepackten
Umzugskartons. Eine kleine Küche und ein noch kleineres Bad vervollständigten seine neue Wohnung.
Sich seiner Finanzen erinnernd, fuhr er seinen Rechner hoch und überprüfte seinen Kontostand. Die Kosten für die Anzeige waren
bereits abgebucht, das ausstehende Gehalt vom BKA war immer noch nicht überwiesen.
Instinktiv räumte er die Wohnung auf. Die beiden FlaschenMerlot standen noch auf dem Tisch. Er griff die erste, doch bei der zweiten stutzte er. Die Flasche stand zehn Zentimeter
neben dem Ring aus eingetrocknetem Wein. Er konnte sich nicht erinnern, dass er die Flasche am Morgen verrückt hatte, wusste
jedoch genau, dass er sich das letzte Glas gestern Abend eingeschenkt hatte, als er schon im Bett lag.
Merkwürdig, dachte er, so wie die Flasche jetzt steht, kann ich sie doch vom Bett aus nicht erreichen. In zwei Schritten war
er um den Tisch herum, legte sich auf das Bett und griff nach der Flasche – und erreichte sie nicht.
Dengler kniff die Augen zusammen und dachte nach, aber er konnte sich nicht erinnern, den Standort der Merlot-Flasche verändert
zu haben. Er stand auf und ging noch einmal um den Tisch herum. Aber es war kein Zweifel möglich – jemand hatte die Flasche
verrückt.
Vorsichtig ging er in das kleine Zimmer. Er überblickte die gestapelten Kartons. Selbst wenn jemand in diesem Chaos die Kartons
durchsucht hätte, es wäre ihm nicht aufgefallen. Jetzt schnellte er in seinen Büroraum. Der Tresor sah aus wie immer. Er öffnete
ihn und stieß erleichtert die Luft aus, als er die Smith & Wesson unberührt an ihrem Platz fand.
Der Computer! Ob sich jemand an dem Rechner zu schaffen gemacht hatte? Das gab irgendwie keinen Sinn, die Klamotten und die
Bücher in den Kartons hatten nur Wert für ihn, und der Rechner war so neu, dass sich nur der Text seiner Anzeige auf der Festplatte
befand.
Trotzdem: Er setzte sich wieder vor den Computer und öffnete den Windows Explorer durch einen Klick mit der rechten Maustaste
auf das Startsymbol. Der Rechner zeigte ihm dienstfertig sein Inneres. Die Datei, die er Anzeige.doc genannt hatte, zeigte
das Datum von heute und die Uhrzeit 8:56. Um diese Uhrzeit hatte er heute Morgen die Datei abgespeichert. Würde sich die Uhrzeit
verändern, wenn er die Datei öffnen, lesen und wieder schließen würde? Dengler klickte auf das Icon, Word öffnete sich und
sein Anzeigetexterschien auf den Bildschirm. Sofort schloss er die Datei wieder und untersuchte den Eintrag im Explorer. Die Uhrzeit blieb
unverändert: 8:56 Uhr.
Offensichtlich ändert der Rechner Datum und Uhrzeit nur dann, wenn die Datei verändert wird. Dies war also der falsche Weg,
um festzustellen, ob jemand den Rechner manipuliert hatte.
Aber wer sollte sich für einen neuen Rechner interessieren? Es musste einen logischen Grund für den Platzwechsel der Weinflasche
geben. Vielleicht war er in der Nacht noch einmal aufgestanden?
Einem plötzlichen Einfall folgend, rief er die Datensicherungssoftware auf und prüfte die Einträge der automatischen Back-ups. Eine Tabelle zeigte die Sicherung von heute Morgen, kurz nach sieben Uhr, als er den Rechner hochgefahren hatte, und den nächsten
Eintrag um 8:59, als er ihn ausschaltete. Doch dann: 10:43 und 10:51, zwei Sicherungen. Zu dieser Zeit, während er mit Mario
frühstückte, war jemand an seinem Rechner gewesen.
Wer?
Vielleicht der Typ im Leinenjackett unten im Basta? Dengler nahm sein blaues Jackett, warf es über die Schulter. Dem Burschen wollte er auf den Zahn fühlen, und morgen würde
er ein neues Schloss besorgen.
Der
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