Die blaue Liste
überall das Gleiche drinstehen. Da muss mir schon immer wieder was einfallen.«
Dengler pfiff durch die Zähne.
»Da müssen Sie bestimmt früh aufstehen«, sagte er und versuchte sich vorzustellen, wie Martin Klein sein Zimmer und seinen
Computer nach Horoskopen durchsuchte.
»Quatsch, ich bin ein Nachtmensch. Vor elf stehe ich nicht auf. Dann schreibe ich drei Horoskope, um warm zu werden, und gehe
dann frühstücken.«
»Heute Morgen auch?«
Klein blinzelte ihn irritiert an. »Heute auch, gestern auch, vorgestern auch, vorvorgestern auch und morgen wieder. Stehe
spät auf, schreibe ein wenig, und am Mittag schreibe ich den Rest und schicke alles an die Redaktionen.«
»Per Post?«
Klein lachte.
»Nein, per E-Mail. Das geht wunderbar. Die schöne Olga kennt sich mit Computern aus, die hat mir das ganze Zeug eingerichtet.
Übrigens, kennen Sie sie?«
»Die schöne Olga? Leider nein.«
»Na, Sie werden sie noch kennen lernen. Sie bewohnt die Wohnung einen Stock über uns. Sie und wir beide bilden die Hausgemeinschaft.«
Er hob das Glas. Dengler tat ihm nach. Beide tranken. »Und Sie sind Polizist?«
»Ich war Polizist. Habe gekündigt und bin nun freier Ermittler. Morgen werde ich ein Schild an der Tür anbringen.«
Der Mann richtete sich abrupt auf.»Privatdetektiv? Schnüffler? Das wird nicht gut gehen! Wissen Sie«, Klein beugte sich über den Tisch, »ein Privatdetektiv
hat mein Leben ruiniert.«
Dengler lachte: »Hat er Sie beim Ehebruch fotografiert?«
Martin Klein winkte ab und rückte ein Stück näher heran: »Ich schrieb nicht mein ganzes Leben lang Horoskope. Eigentlich bin
ich Schriftsteller.«
» Der Einbruch um Mitternacht«, sagte Dengler.
»Sie kennen das Buch?« Klein nahm überrascht einen Schluck Wein. »Das war meine beste Geschichte. Wann haben Sie es gelesen?«
»Warum wird es nicht wieder aufgelegt?« fragte Dengler.
»Ach«, Klein machte eine wegwerfende Handbewegung, »die Deutschen mögen keine Privatdetektive.«
»Schlecht für mich«, sagte Dengler; Klein hörte ihm nicht zu, sein Blick verfing sich irgendwo in der Dämmerung, während seine
rechte Hand nervös über das Tischtuch strich, und Dengler schien es, als spiele ein bitterer und enttäuschter Zug um seinen
Mund.
Klein sagte: Ȇberall in Europa, in England und in Frankreich, in den USA sowieso, gibt es private Ermittler, die sowohl auf
dem Buchmarkt als auch im Kino erfolgreich sind.« Er sah Dengler an und fasste sich wieder: «Denken Sie an den überheblichen
und trotzdem intelligenten Sherlock Holmes, der sich am liebsten dem Opiumrausch hingibt und der mit seinen Fällen nur das
Geld für den nächsten Rausch verdient. Oder die altjüngferliche Miss Jane Marple, die die blasierten Scotland-Yard-Typen an
der Nase herumführt. Und der große Philip Marlowe, der in Los Angeles dem Verbrechen hoffnungslos unterlegen ist, immer knapp
mit dem Leben davonkommt und nie weiß, wie er seine nächste Miete bezahlen soll. In Deutschland funktionieren solche Typen
nicht.
« Seine Stimme verlor den höheren, enttäuschten Ton; jetzt klang sie wieder tiefer – er sprach nun schneller und engagierter.»Schauen Sie, Dengler«, sagte er, »in Deutschland muss die Bekämpfung des Bösen immer hoheitlicher Akt sein, die Suche nach
der Wahrheit darf nie Sache des mündigen Bürgers werden, nur ein Staatsbeamter findet die Wahrheit und schafft damit Ordnung
– und Ordnung lieben wir. Deshalb gibt es bei uns keine Privatdetektive, sondern nur Kommissare oder Kommissarinnen, so weit
das Auge reicht.«
Klein starrte ihn an: »Das Böse kommt bei uns immer von außen. Es ist undenkbar, dass es mitten unter uns sitzt, dass der
Staat es selbst ist, der Verbrechen ausführt; selbst die kleine Spielart, der korrupte Bulle, kommt nicht vor – in keinem Tatort, in keinem der SAT-1-Filmchen, nur in der Wirklichkeit, na, das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich.«
Dengler sagte nichts, ihm wurde der Horoskopschreiber immer sympathischer; er konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann
sein Zimmer durchsucht hatte.
»Na ja, nun wissen Sie, warum ich Horoskope schreibe und keine Romane mehr«, sagte Klein und zwinkerte ihm zu. Dann beugte
er sich zu ihm und sagte: »Wenn Sie also jemals einen Kriminalroman schreiben, wählen Sie nie einen private eye als Helden.«
»Mir genügt es, wenn ich ein gutes Buch lesen kann«, sagte Dengler.
* * *
»Aha, jetzt betrinkst du dich schon mit der
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