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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Bildschirmschoner hatte eine Mondlandschaft auf den Bildschirm gezaubert. Dengler startete google.de, dann tippte er den
     Namen Martin Klein ein; die Suchmaschine warf ihm 5190 Adressen aus. Er änderte den Sucheintrag in »Martin Klein« Stuttgart; immerhin noch 237 Einträge, einer war ein Rechtsanwalt, ein Kontrabassspieler, ein Doktorand, der seine Arbeit über die Entwicklung
     eines Neutronendetektors veröffentlichte, ein siebzehnjähriger Student mit einer eigenen Homepage, ein Zahnarzt, der sich
     mit einigen Kollegen zu einer AG Kiefer zusammengeschlossen hatte, ein anderer schrieb Kriminalromane, die nicht mehr gedruckt
     wurden;Dengler las: Der Einbruch um Mitternacht (vergriffen) und Mord im Schlosspark (vergriffen), dann gab es noch einen Professor für Ornithologie an der Uni Hohenheim – vielleicht war das der Mann, der dort unten saß.
    Der ältere Mann im weißen Leinenjackett sah ihn aus der Tür treten und winkte ihm zu.
    »Trinken Sie ein Glas mit mir?«
    »Warum nicht«, sagte Dengler und setzte sich an den Tisch.
    »Rot oder weiß?«
    »Immer gerne einen Grauen Burgunder.«
    Der Mann winkte einem gut aussehenden jungen Kellner mit Glatze und bestellte für Dengler.
    »Nun sind wir also Nachbarn«, wandte er sich wieder ihm zu. »Wie lange wohnen Sie schon in diesem Haus?«, fragte Dengler.
    »Ich wohne schon über zwei Jahre hier. Zusammen mit der schönen Olga bilden wir eine Hausgemeinschaft.«
    Der Kellner brachte Dengler den Burgunder.
    Er entschied sich für die indirekte Methode der Befragung.
    »Wie gefällt es Ihnen im Bohnenviertel?«, fragte er Martin Klein.
    »Ich lebe schon lange hier. Gestern widerfuhr mir die große Ehre, dass der Junggesellenpool mir eine Mitgliedschaft anbot.«
    »Der Junggesellenpool?«
    »Ja, für Sie ist das noch nichts; Sie sind zu jung dafür. Er besteht aus einer Reihe von Herren, die die sechzig schon weit
     hinter sich gelassen haben und sich regelmäßig drüben in der Weinstube Stetter treffen, alle geschieden, einige mehrmals, einige verwitwet; sie gründeten dort ein Stammtisch.«
    »Und alle noch heiratswillig?«
    »Ja, aber nur in gewissem Sinne. Alle haben oder hatten gute Jobs und erwarten daher relativ hohe Pensionen. Einer von ihnen
     ist ein Versicherungsmathematiker. Der rechnete ihnen vor, dass sie ihre Renten verschleudern. Wenn siesterben, ohne verheiratet zu sein, wird ihre Rente oder Pension eingestellt. Einer kam dann auf die Idee, daraus sei doch
     ein schönes Geschäft zu machen. Wenn eine Frau einen dieser Herren heiraten würde, hätte sie eine Rente für viele Jahre zu
     erwarten. Die Herren erwarten von ihr weder Zärtlichkeit noch Sex. Sagen sie jedenfalls.«
    »Sondern?«
    »Sie wollten 20 Prozent der Summe, welche die Frau als Rentenzahlung zu erwarten hat. Sie haben das zusammengerechnet und
     stellten sich vor, auf Mallorca einem Lebensabend in Saus und Braus entgegenzufeiern.«
    »Und fand sich schon jemand für dieses gute Angebot?«
    »Nein, nicht eine Einzige. In der letzten Woche senkten sie nun die Quote von 20 auf 10 Prozent, aber die Frauen scheinen
     doch romantischer veranlagt zu sein, als die Herren meinen. Und so sitzen sie nun jede Woche zusammen und feilen an dem Konzept
     und haben eine Menge Spaß dabei. Es ist natürlich eine Ehre, dass sie mich aufgefordert haben, ihrem Club beizutreten.«
    »Haben Sie denn auch eine so große Rente?«
    »Nein, leider gar nicht. Ich werde arbeiten müssen, bis ich umfalle.«
    »Was machen Sie?«
    »Nun«, er atmete einmal durch, »ich verfasse Horoskope.«
    »Horoskope?«
    »Ja, ich bin spezialisiert auf Horoskope für Tageszeitungen und Frauenzeitschriften.«
    Er nahm einen Schluck Wein und fuhr fort: »Auf dem Markt für Männermagazine konnte ich bisher nicht landen. Ich eigne mich
     wohl nur dazu, den Frauen die Zukunft vorherzusagen. Einfühlsamkeit ist da verlangt, wissen Sie. Und ich bin so einfühlsam
     wie Freud, Adler und Jung zusammengenommen.«
    »Und davon können Sie leben?«
    »Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Geld verdientwie mit den Horoskopen. In der hellsten Phase meines Lebens schloss ich einen Vertrag mit dem Holzträger-Konzern, wissen Sie,
     der sitzt hier in Stuttgart, und ich schreibe für alle seine Blätter die Horoskope, mit Ausnahme der Männer- und Wirtschaftsmagazine,
     acht Horoskope pro Tag. Da habe ich was zu tun; überlegen Sie mal, acht Horoskope mal zwölf Sternzeichen macht 96 Einzelhoroskope pro Tag. Und es kann ja nicht

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