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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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und stellte eine weiße Tasse mit grünem Blumenmuster auf den Tisch. Auf dem Unterteller
     hatte sich bereits eine Lache von verschüttetem Kaffee gebildet. Kerstin nahm das Milchkännchen, goss einen kräftigen Strahl
     ein und rührte um. Die alte Frau war schon wieder in der Küche verschwunden.
    Nach einer halben Stunde erschien Klaus und setzte sich schweigend zu ihr an den Tisch. Auch er bestellte eine Tasse Kaffee.
     Beide sprachen nicht; Kerstin rührte nachdenklich im kalten Rest ihres Kaffees.
    »Berührt es dich sehr, ihn jetzt zu sehen?«, fragte Klaus mit der samtenen Stimme des routinierten Liebhabers.
    »Ich freue mich so«, sagte sie und schaute hinaus auf das Bahngleis.
    Zwanzig Minuten später traf Uwe ein. Kerstin holte ihn am Bahnsteig ab. Untergehakt gingen sie in das Billard-Café und setzten
     sich an den Tisch am Eingang.
    Obwohl seine Bewegungen vorsichtig und verhalten wirkten – er sah sich oft um -, mischte sich in seine Furcht die Freude über
     das Wiedersehen. Er war lebhaft und rief diealte Frau an den Tisch, und sie bestellten sich eine Kleinigkeit zu essen, gebackenen Camembert, Würzfleisch und einmal Wiener
     Würstchen. Er zahlte für alle.
    * * *
    Um 15:15 Uhr verlassen sie das Lokal und gehen hinaus auf den Bahnsteig. Es ist lächerlich, denkt er, trotzdem gehen sie einzeln,
     im Abstand von zehn Metern, Uwe zuerst, dann Kerstin – und Klaus als Letzter. Sie gehen 29 Meter vom Café zur Bahnhofstreppe.
     Uwe schaut sich immer wieder um, Kerstin auch, Klaus nicht. Uwe hat nun die Treppe zur Bahnunterführung erreicht und sieht
     hinunter: 10 Treppenstufen hat er zu gehen, dann folgt ein Absatz von einem Meter Breite; dann sind es noch einmal 23 Stufen
     bis zur Unterführung. Es sind bloß 23 Stufen und ein Absatz. Niemand ist zu sehen. Er bemerkt nicht die bleierne Stille über
     dem Bahnhof.
    Bevor er die erste Treppe hinabsteigt, sieht er noch einmal zu Kerstin, doch sie sieht gerade zurück; er kann ihren Blick
     nicht mehr erreichen, er schaut den schmalen Treppenabgang hinab. Er geht hinunter, Kerstin folgt ihm in gleich bleibendem
     Abstand.
    Unten wendet er sich nach rechts. Am Ende des Tunnels steht ein jüngerer Mann und liest den Fahrplan, der in einem Kasten
     an der Wand des Tunnels hängt. Er sieht bereits den Lichteinfall aus dem Aufgang zu den Gleisen Drei und Vier. Er geht vorsichtig
     weiter. Schaut sich noch einmal um und sieht, dass Kerstin nun die Unterführung erreicht hat.
    Dann geht alles sehr schnell. Kerstin schreit: »Polizei, Polizei!« Er dreht sich um. Sie ist umringt von drei oder vier schwarz
     gekleideten Männern mit Masken. Er sieht, wie sie zu Boden geht. Zwei Männer beugen sich über sie. Er dreht sich um. Aus der
     Gegenrichtung laufen ihm schwarze Männer entgegen. Sie zielen auf ihn.»Halt, stehen bleiben, Polizei! Werfen Sie, halt, stehen bleiben, die Waffe weg! Polizei! Halt, stehen bleiben, werfen Sie
     die Waffe weg! Polizei! Halt! Die Waffe weg! Stehen bleiben! Polizei! Werfen Sie! Halt! Die Waffe! Weg! Polizei! Stehen bleiben!
     Stehen bleiben!«
    Es gibt nur einen Ausweg. Der Aufgang zu Gleis Drei und Vier! Sommerlich warm strahlt das Licht aus dem einzig möglichen Ausweg.
     Er hastet die Treppe hinauf und zerrt im Laufen die tschechische Bruenner unter dem Hosenbund hervor, für einen Moment verheddert
     sich die Waffe im Gürtel seiner Hose.
    Auf dem Bahnsteig ist kein Mensch. Kein Polizist. Aber auf den anderen Gleisseiten sind Unzählige davon. Rechts und links.
     Nur hier nicht. Ist das noch eine Chance? Seine einzige! Sie rufen von allen Seiten. Halt, stehen bleiben! Sie schießen. Es
     dröhnt, und er hört die heulenden Querschläger. Wie im Film, denkt er noch. Aber hier auf dem Gleis ist er allein. Noch haben
     sie ihn nicht. Er hört das Getrappel vieler Stiefel unten in der Unterführung. Sie rufen. Sie schreien. Von allen Seiten.
     Sie schießen. Es knallt um ihn herum. Krems sieht die Polizisten die Treppe hinaufstürmen, und links von ihm, auf dem anderen
     Bahnsteig, wird auch geschossen. Er dreht sich um die eigene Achse, um sich ein Bild zu machen. Den Hebel umlegen, die Pistole
     ist entsichert. Sie wollen aus dem Ausgang stürmen. Auf den Bahnsteig. Seinen Bahnsteig. Er hebt den Arm. Schießt. Einmal.
     Noch einmal. Ein Polizist bricht zusammen. War ich das, denkt er. In den späteren Berichten werden einige Polizisten zu Protokoll
     geben, dass er mit offensichtlichen Koordinationsproblemen zu kämpfen hatte

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