Die blaue Liste
und merkwürdigerweise das linke Gleis entlang
schießt, wo niemand ist.
Er sieht nicht die beiden vermummten Männer in schwarzer Uniform, die in seinem Rücken vom Nebengleis her bereits auf seinem
Bahnsteig angelangt sind. Die Polizisten, die die Treppe hinaufstürmen, schreien und schießen. Sie sind nichtaufzuhalten. Sie bleiben einfach nicht stehen. Sie schreien und schießen.
Dann der Schmerz an der Hüfte. Die Kraft, die ihn herumwirbelt. Er dreht sich. Es dreht sich. Verliert das Gleichgewicht und
stürzt auf das Gleis und bleibt liegen. Gleis Vier, denkt er noch. Die Pistole hat er verloren.
Es ist aus, denkt Krems. Sie haben mich.
Er liegt da, seitwärts, auf der linken Seite und wartet auf die Erleichterung, die nach einer Festnahme einsetzt. Mit Kerstin
sprach er oft darüber, ob das möglich sein könne, eine Erleichterung zu empfinden, wenn die anderen gewinnen, die anderen,
die ihn schon lange jagen. Nun haben sie ihn, und tatsächlich spürt er einen Frieden wie schon lange nicht mehr, die Schüsse
scheinen leiser geworden zu sein. Er denkt an Kerstin.
Aber dann sind zwei schwarze Gestalten über ihm. Einer reißt ihn herum und setzt sich auf seine Brust, die Knie auf seinen
Armen. Warum machen die das, denkt Krems, es ist doch vorbei. Er sieht die Pistolenmündung größer werden und sieht die Augen
des Mannes, der auf ihm kniet. Die Augen – woher kenne ich diese Augen, denkt Krems. Nur die Augen sieht er und die Wollmaske,
aber diese Augen hat er schon einmal gesehen.
Der kniende Mann sieht zu ihm hinunter, und mit der linken Hand zieht er in einer triumphierenden Geste die Maske vom Gesicht,
nur kurz, für einen Augenblick, nur so lange, bis er das Erkennen in Krems' Augen sieht, dem ein maßloses Entsetzen folgt.
Ein Verstehen. Dann zieht er die Maske zurück, setzt die Waffe an Krems' Schläfe und drückt ab.
Der zweite Mann schießt Krems in den Bauch. Überall wird immer noch geschrien, aber es fallen kaum noch Schüsse. Der getroffene
Polizist liegt auf dem Bahnsteig und schreit, dass er sterben werde. Einige der schwarz Uniformierten bücken sich zu ihm hinab,
andere wissen nicht, ob alles schon vorbei ist. Die beiden Männer auf dem Gleisbett stehen aufund springen auf den Bahnsteig. Heinz sieht hinter den Fensterscheiben eines Kiosks die angstgeweiteten Augen der Verkäuferin.
Doch das schert ihn nicht mehr. Die beiden Männer gehen ruhig an dem sterbenden Polizisten vorbei, die Treppen hinab, links
zum Ausgang, finden ihren BMW und verlassen Bad Kleinen.
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Verwandelt Erkenntnis den Menschen? Erheitert sie ihn oder erleichtert sie ihn nur dann, wenn er betrunken ist, so betrunken
wie Dengler, der nun die einundachtzig Stufen hinuntergeht zur Straße, bemüht würdevoll, eine Hand auf dem Geländer, nicht
nur sicherheitshalber, sondern weil es ihn eigentlich treibt, die Treppe hinabzurennen, ja sogar zu hüpfen, da er nun das
Geheimnis kennt, das Olga hütet und das sie so ablehnend macht, verständlicherweise, denn einem Polizisten oder auch nur einem
ehemaligen Polizisten gegenüber muss eine Diebin vorsichtig sein und misstrauisch; auch vor einem private eye, wie Martin Klein sagt, muss sie sich in Acht nehmen, denn von Klein erfährt sie bestimmt nichts Gutes über einen Ermittler,
und das ist genau der Punkt, der ihn so heiter stimmt, denn wenn sie erst weiß, dass er keine Gefahr für sie darstellt, dann
benötigt sie diese Feindseligkeit nicht mehr, mehr noch, dann teilen sie ein Geheimnis.
Hoppla.
Da ist die Tür.
Und hier die Straße. Bleib nur auf dem Bürgersteig.
Eine Diebin, eine Trickdiebin – wer hätte das gedacht?
Am Leonhardsplatz stehen einige Polizeiwagen mit eingeschaltetem Blaulicht, aber die Polizisten sitzen in ihren Wagen und
lassen die Süchtigen in Ruhe. Die Szene hat sich in etwas weiterem Abstand versammelt, aber immer noch in Sichtweite der Streifenwagen;
die Junkies stehen rum und dealen weiter, einige sind mit ihren unvermeidlichen Hunden da; über dem Ganzen liegt eine Erwartungsstimmung,
als würde gleich die ganz große Lieferung eintreffen, die für alle ausreichend Stoff bringt – für die Junkies und für die
Polizei.
Erwartungsgemäß schlief das Basta schon, die Stühle standen nicht mehr vor dem Eingang, und die herabgelassenen Rollläden verdunkelten die Straße noch mehr.Der Alkohol hatte seine Stimmung aufgehellt, aber er fühlte sich nicht wirklich betrunken. Er
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