Die blaue Liste
ausgedörrt wie ein afrikanisches Flussbett in der Trockenzeit.
Seine Füße froren. Deshalb war er aufgewacht. Ohne sich zuregen, spürte er, dass die Decke nur bis zu den Knöcheln reichte. Nicht nur die Decke, sondern auch das Bett war zu kurz.
Wo war er überhaupt?
Er setzte sich im Dunkeln auf, und das Hämmern in seinem Kopf steigerte sich zu einem Auftritt einer afrikanischen Rhythmusgruppe.
Er wartete, bis sich zumindest die größeren Trommeln beruhigten, und stand auf.
Er tappte im Dunkeln an der Wand entlang, endlos, wie es ihm schien, mit den Händen suchte er einen Lichtschalter, und als
er ihn schließlich ertastete, kehrte auch seine Erinnerung zurück. Ein gelber Strahler erleuchtete ein Zimmer mittlerer Größe,
die Couch, auf der er gelegen hatte, stand unter dem Fenster, eine breite Schreibplatte mit zwei Monitoren befand sich auf
der gegenüberliegenden Seite, daneben stand ein großes Bücherregal aus Stahl, gefüllt mit CD-ROMs und zwei Reihen Büchern.
Ein Rechner stand darunter – die grüne Lichtquelle -, daneben ein Scanner, die mit dem roten Licht. Wo waren seine Schuhe?
Er trug noch seine Jeans und den schwarzen Pulli, den er gestern anzogen hatte, bevor er zu Mario ging, sein Jackett fehlte
auch. Beides hatte ihm wohl Olga gestern Abend ausgezogen, aber er erinnerte sich nicht mehr daran.
Die Schuhe standen vor dem Bücherregal.
Mit einer Hand hielt er sich an einem der Stahlpfosten fest, um langsam in die Schuhe hineinzuschlüpfen.
Sein Blick fiel auf das Bücherregal; er stutzte.
Softwareschachteln sehen sich fast alle ähnlich. Die Verpackung hatte sich nicht geändert, es war noch immer die auffallende
rot-gelbe Werbung auf der Box. Vor ihm stand Look That, mittlerweile in der Version 12. Er nahm die Schachtel aus dem Regal und wog sie in der Hand. Er erinnerte sich noch gut an
den Lehrgang in Wiesbaden: Diese Software nutzten sie damals, um in fremde Rechner einzudringen.
Das heißt also Computer lernen, dachte er.Die Diebin steigt von der Handarbeit auf die neuen Technologien um.
Dengler löschte das Licht und betrat Olgas Wohnzimmer. Sein Jackett hing über der Lehne eines Stuhles. Er legte es über den
Arm, verließ leise ihre Wohnung und ging hinunter in seine eigene.
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26
Die Mücke schien versessen darauf zu sein, ihn zu wecken. Es gelang ihm, den Summton des Insekts in seinen Traum einzufügen:
Ein Flugzeug stürzte vom Himmel, der Motorenlärm wurde immer lauter, und er saß in der Kanzel und raste hinunter in eine grüne
Hölle, aus der ihm beständig Gegenstände entgegenkamen, ein Propeller, ein Messer, ein Laptop, ein Austernmesser, das Sitzkissen
der Lauda-Air, ein Cateringwagen und ein Weinglas, in dem Reste von Rotwein schwappten. Er suchte die Fledermaus, die stets
seine Träume begleitet, und da war sie, am äußersten Rand seines Blickfeldes. Sie presste die Flügel gegen den Leib und schoss
nun, es dem Flugzeug gleichtuend, hinunter, dem Urwald entgegen.
Die Gegenstände rasten auf ihn zu und er bemühte sich verzweifelt, ihnen auszuweichen, doch so sehr er sich nach rechts oder
links warf, es gelang ihm nicht, sich zu bewegen. Je näher die Teile kamen, desto mehr änderten sie ihr Aussehen; sie wurden
spitzer, der Laptop zog sich zusammen zu einem Pfeil aus grauem Plastik, das Sitzkissen wurde zu einer zylindrischen Bedrohung,
selbst das Weinglas verformte sich zu einem albtraumartigen Geschoss, das ihn an der Nase traf. Er schlug danach, und schon
raste die nächste Gefahr auf ihn zu, direkt auf seine Stirn. Er schrie im Schlaf, schlug nach dem Ding und wachte auf, schnell
genug, um die Mücke noch zu sehen, die eiligst vor seinen Schlägen floh.
Draußen schien die Sonne. Ein erschrockener Blick auf die Uhr. Viertel nach eins. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das
letzte Mal so lange geschlafen hatte. Vorsichtig drehte er den Kopf, doch selbst bei der kleinsten Bewegung schien sein Gehirn
gegen die innere Schädelwand anzuschlagen und verursachte einen lähmenden Schmerz. Vorsichtig ließ er sich auf das Kopfkissen
zurückgleiten.
* * *
Am Montag Vormittag frühstückte er bereits um neun bei Brenners. Er las den neuen Spiegel und die Süddeutsche. Der Abstieg des SC Freiburg schien besiegelt zu sein. Fünf Jahre hat sich der Club in der obersten Liga gehalten, und in der
ersten Hälfte der Saison konnten sie gegen die großen und reichen Mannschaften bestehen, doch nun ging ihnen
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