Die Blechtrommel
und gewunden durch die Türritzen des Briefraumes schlich und den Eindruck erweckte: das Kämmerlein mit dem Kartenhaus drin grenzt direkt und Tür an Tür an die Hölle.
Die hatten Flammenwerfer eingesetzt, hatten, den Frontalangriff scheuend, beschlossen, die letzten Verteidiger auszuräuchern. Die hatten den Doktor Michon soweit gebracht, daß er den Stahlhelm absetzte, zu einem Bettlaken griff und, da ihm das nicht ausreichte, noch sein Kavaliertüchlein zog und beides schwenkend, die Übergabe der Polnischen Post anbot.
Und sie verließen, an die dreißig halbblinde, versengte Männer, die erhobenen Arme und Hände im Nacken verschränkt, das Postgebäude durch den linken Nebenausgang, stellten sich vor die Hofmauer, warteten auf die langsam heranrückenden Heimwehrleute.
Und später hieß es, während der kurzen Zeitspanne, da die Verteidiger sich im Hof aufstellten und die Angreifer noch nicht da, aber unterwegs waren, seien drei oder vier geflüchtet: über die Postgarage, über die angrenzende Polizeigarage in die leeren, weil geräumten Häuser am Rahm. Dort hätten sie Kleider gefunden, sogar mit Parteiabzeichen, hätten sich gewaschen, fein zum Ausgehen gemacht, hätten sich dann einzeln verdrückt, und von einem hieß es: er habe auf dem Altstädtischen Graben ein Optikergeschäft aufgesucht, habe sich eine Brille verpassen lassen, da seine während der Kampfhandlungen im Postgebäude verlorengegangen war. Frischbebrillt soll sich Viktor Weluhn, denn er war es, sogar am Holzmarkt ein Bier genehmigt haben und noch eines, weil er durstig war wegen der Flammenwerfer, soll sich dann mit der neuen Brille, die den Nebel vor seinem Blick zwar etwas lichtete, aber bei weitem nicht in dem Maße aufhob, wie es die alte Brille getan hatte, auf jene Flucht gemacht haben, die bis zum heutigen Tage anhält; so zäh sind seine Verfolger.
Die anderen aber — und ich sage, es waren an die Dreißig, die sich nicht zur Flucht entschlossen — die standen schon an der Mauer, dem Seitenportal gegenüber, als Jan gerade die Herz Königin gegen den Herz König lehnte und beglückt seine Hände zurückzog.
Was soll ich noch sagen? Sie fanden uns. Sie rissen die Tür auf, schrien »Rausss!«, machten Luft, Wind, ließen das Kartenhaus zusammenfallen. Die hatten keinen Nerv für diese Architektur. Die schworen auf Beton. Die bauten für die Ewigkeit. Die achteten gar nicht auf des Postsekretärs Bronski empörtes, beleidigtes Gesicht. Und als sie ihn rausholten, sahen sie nicht, daß Jan noch einmal in die Karten griff und etwas an sich nahm, daß ich, Oskar, die Kerzenstummel von meiner neugewonnenen Trommel wischte, die Trommel mitgehen ließ, die Kerzenstummel verschmähte, denn Taschenlampen strahlten uns viel zu viele an; doch die merkten nicht, daß ihre Funzeln uns blendeten und kaum die Tür finden ließen. Die schrien hinter Stabtaschenlampen und vorgehaltenen Karabinern: »Rausss!«
Die schrien immer noch »Rausss!«, als Jan und ich schon auf dem Korridor standen. Die meinten den Kobyella mit ihrem »Rausss!« und den Konrad aus Warschau und auch den Bolack und den kleinen Wischnewski, der zu Lebzeiten in der Telegrammannahme gesessen hatte. Das machte denen Angst, daß die nicht gehorchen wollten. Und erst als die von der Heimwehr begriffen, daß sie sich vor Jan und mir lächerlich machten, denn ich lachte laut, wenn die »Rausss!« brüllten, da hörten sie auf mit der Brüllerei, sagten »Ach so« und führten uns zu den Dreißig auf dem Posthof, die die Arme hoch hielten, die Hände im Nacken verschränkten, Durst hatten und von der Wochenschau aufgenommen wurden.
Kaum daß man uns durchs Nebenportal führte, schwenkten die von der Wochenschau ihre auf einem Personenwagen befestigteKamera herum, drehten von uns jenen kurzen Film, der später in allen Kinos gezeigt wurde.
Man trennte mich von dem an der Wand stehenden Haufen. Oskar besann sich seiner Gnomenhaftigkeit, seiner alles entschuldigenden Dreijährigkeit, bekam auch wieder die lästigen Glieder-und Kopfschmerzen, ließ sich mit seiner Trommel fallen, zappelte, einen Anfall halb erleidend, halb markierend, ließ aber auch während des Anfalls die Trommel nicht los. Und als sie ihn packten und in ein Dienstauto der SS-Heimwehr steckten, sah Oskar, als der Wagen losfuhr, ihn in die Städtischen Krankenanstalten bringen wollte, daß Jan, der arme Jan blöde und glückselig vor sich hinlächelte, in den erhobenen Händen einige Skatkarten hielt und
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