Die Blechtrommel
bisher unbekanntes Gefühl für Verantwortung befohlen hätte, auszuhalten und der Angst des mutmaßlichen Vaters mit dem einzig wirksamen Mittel, dem Skatspiel, zu begegnen.
Wir spielten also und verboten dem Kobyella das Sterben. Er kam nicht dazu. Sorgte ich doch, daß die Karten immer im Umlauf blieben. Und als die Talgkerzen infolge einer Detonation im Treppenhaus umfielen und die Flämmchen aufgaben, war ich es, der geistesgegenwärtig das Nächstliegende tat, der dem Jan das Streichholz aus der Tasche holte, dabei Jans Goldmundstückzigaretten mitzog, der das Licht wieder auf die Welt brachte, Jan eine beruhigende Regatta anzündete und Flämmchen auf Flämmchen in die Dunkelheit setzte, bevor sich Kobyella, die Dunkelheit nutzend, davonmachen konnte.
Zwei Kerzen klebte Oskar auf seine neue Trommel, legte sich die Zigaretten griffbereit, verschmähte jedoch für sich den Tabak, bot vielmehr Jan immer wieder eine an, hängte auch dem Kobyella eine in den verzogenen Mund, und es ging besser, das Spiel lebte auf, der Tabak tröstete, beruhigte, konnte aber nicht verhindern,daß Jan Bronski Spiel für Spiel verlor. Er schwitzte und kitzelte, wie immer, wenn er ganz bei der Sache war, seine Oberlippe mit der Zungenspitze. Dergestalt geriet er in Feuer, daß er mich im Eifer Alfred und Matzerath nannte, im Kobyella meine arme Mama zum Spielgenossen zu haben glaubte. Und als jemand auf dem Korridor schrie: »Den Konrad hat es erwischt!« blickte er mich vorwurfsvoll an und sagte: »Ich bitte dich, Alfred, stell doch das Radio ab.
Man versteht ja sein eigenes Wort nicht!«
Richtig ärgerlich wurde der arme Jan, als die Tür zur Briefkammer aufgerissen und der fix und fertige Konrad hereingeschleppt wurde.
»Tür zu, es zieht!« protestierte er. Es zog wirklich. Die Kerzen flackerten bedenklich und kamen erst wieder zur Ruhe, als die Männer, die den Konrad in eine Ecke geknüllt hatten, die Tür hinter sich zugemacht hatten. Abenteuerlich sahen wir drei aus. Von unten traf uns das Kerzenlicht, gab uns das Aussehen alles vermögender Zauberer. Und als dann Kobyella seinen Herz ohne Zwein ausreizte und siebenundzwanzig, dreißig sagte, nein, gurgelte und dabei ständig die Augen verrutschen ließ und in der rechten Schulter etwas sitzen hatte, das raus wollte, zuckte, ganz unsinnig lebendig tat, endlich schwieg, doch nun den Kobyella vornübersinken ließ und den drangebundenen Wäschekorb voller Briefe mit dem toten Mann ohne Hosenträger drauf ins Rollen brachte, als Jan dann mit einem einzigen Hieb und ganzem Einsatz Kobyella samt Wäschekorb zum Stehen brachte, als Kobyella, so abermals am Fortgang gehindert, endlich »Herzhand« röhrte und Jan sein »Contra« zischen, Kobyella sein »Re« herauspressen konnten, da begriff Oskar, daß die Verteidigung der Polnischen Post geglückt war, daß jene, die da angriffen, den gerade begonnenen Krieg schon verloren hatten; selbst wenn es ihnen gelänge, im Verlauf des Krieges Alaska und Tibet, die Osterinseln und Jerusalem zu besetzen.
Schlimm allein war, daß Jan seinen großen, bombensicheren Grandhand, mit Viern, Schneiderschwarz angesagt, nicht zu Ende spielen konnte.
Er begann mit der Kreuzflöte, nannte mich jetzt Agnes, sah im Kobyella seinen Nebenbuhler Matzerath, zog dann scheinheilig Karo Bube — ich täuschte ihm übrigens lieber meine arme Mama als den Matzerath vor — Herz Bube hinterher — mit Matzerath wollte ich unter keinen Umständen verwechselt werden — Jan wartete ungeduldig, bis jener Matzerath, der in Wirklichkeit Invalide, Hausmeister war und Kobyella hieß, abgeworfen hatte; das brauchte seine Zeit, doch dann knallte Jan Herz Aß auf die Dielen und konnte und wollte nicht begreifen, hatte ja nie recht begreifen können, war immer nur blauäugig, roch nach Kölnisch Wasser, blieb ohne Begriff und verstand deshalb auch nicht, weshalb der Kobyella auf einmal alle Karten fallen ließ, den Wäschekorb mit den Briefen und dem toten Mann drauf auf die Kippe stellte, bis erst der tote Mann, dann eine Lage Briefe und schließlich der ganze sauber geflochtene Korb kippten, uns eine Flut Post zustellten, als seien wir die Empfänger, als sei es jetzt an uns, die Spielkarten zur Seite zu schieben und Episteln zu lesen oder Briefmarken zu sammeln. Aber Jan wollte nicht lesen, wollte nicht sammeln, der hatte als Kind zuviel gesammelt, der wollte spielen, seinen Grandhand zu Ende spielen, gewinnen wollte Jan, siegen. Und er hob den Kobyella auf, stellte
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