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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Propagandakompanie, und je-ner ließ es sich nicht nehmen, mir sein Dienstauto zur Verfügung zu stellen. Während die beiden zu Fuß einen Bummel die Hindenburgallee hinauf in Richtung Stadt machten, fuhr mich der Fahrer des Hauptmanns, ein schon älterer Obergefreiter, zurück nach Langfuhr, bis zum Max-Halbe-Platz; denn in den Labesweg hinein wollte und konnte ich nicht: ein im Wehrmachts-Dienstauto vorfahrender Oskar hätte allzuviel und unzeitgemäßes Aufsehen erregt.
    Viel Zeit blieb mir nicht. Ein Abschiedsbesuch bei Matzerath und Maria. Längere Zeit lang stand ich am Laufgitter meines Sohnes Kurt, fand auch, wenn ich mich recht erinnere, einige väterliche Gedanken, versuchte, den blonden Bengel zu streicheln, doch Kurtchen wollte nicht, dafür wollte Maria, die etwas erstaunt meine ihr seit Jahren ungewohnten Zärtlichkeiten entgegennahm und gutmütig erwiderte. Der Abschied von Matzerath fiel mir merkwürdigerweise schwer. Der Mann stand in der Küche und kochte Nierchen in Senfsoße, war ganz verwachsen mit seinem Kochlöffel, womöglich glücklich, und so wagte ich nicht, ihn zu stören. Erst als er hinter sich langte und mit blinder Hand auf dem Küchentisch etwas suchte, kam Oskar ihm zuvor, griff das Brettchen mit der gehackten Petersilie, reichte es ihm; — und ich nehme heute noch an, daß Matzerath lange, auch als ich nicht mehr in der Küche war, erstaunt und verwirrt das Brettchen mit der Petersilie gehalten haben muß; denn Oskar hatte dem Matzerath zuvor nie etwas gereicht, gehalten oder aufgehoben.
    Ich aß bei Mutter Truczinski, ließ mich von ihr waschen, zu Bett bringen, wartete, bis sie in ihren Federn lag und leicht pfeifend schnarchte, fand dann in meine Pantoffeln, nahm meine Kleider an mich, fand durch das Zimmer, in dem die grauhaarige Maus pfiff, schnarchte und immer älter wurde, hatte im Korridor einige Mühe mit dem Schlüssel, bekam schließlich doch den Riegel aus der Falle, turnte, immer noch barfuß, im Nachthemdchen mit meinem Kleiderbündel die Treppen hoch zum Trockenboden, fand in meinem Versteck, hinter gestapelten Dachpfannen und gebündeltem Zeitungspapier, das man trotz der Luftschutzvorschriften dort lagerte, über den Luftschutzsandberg und den Luftschutzeimer stolpernd, fand ich eine funkelnagelneue Trommel, die ich mir ohne Marias Wissen aufgespart hatte, und Oskars Lektüre fand ich: Rasputin und Goethe in einem Band. Sollte ich meine Lieblingsautoren mitnehmen?
    Während Oskar in seine Kleider und Schuhe schlüpfte, sich die Trommel umhängte, die Stöcke hinter den Hosenträgern versorgte, verhandelte er mit seinen Göttern Dionysos und Apollo gleichzeitig.
    Während mir der Gott des besinnungslosen Rausches riet, entweder überhaupt keinen Lesestoff und wenn doch, dann nur einen Stapel Rasputin mitzunehmen, wollte mir der überschlaue und allzu vernünftige Apollo die Reise nach Frankreich ganz und gar ausreden, bestand jedoch, als er merkte, daß Oskar zur Reise entschlossen war, auf einem lückenlosen Reisegepäck; jedes wohlanständige Gähnen, das Goethe vor Jahrhunderten von sich gegeben hatte, mußte ich mitnehmen, nahm aber aus Trotz, auch weil ich wußte, daß die »Wahlverwandtschaften« nicht alle Probleme geschlechtlicher Art zu lösen vermochten, auch Rasputin und seine nackte, dennoch schwarz bestrumpfte Frauenwelt an mich.
    Wenn Apollo die Harmonie, Dionysos Rausch und Chaos anstrebte, war Oskar ein kleiner, das Chaos harmonisierender, die Vernunft in Rauschzustände versetzender Halbgott, der allen seit Zeiten festgelegten Vollgöttern außer seiner Sterblichkeit eines voraus hatte: Oskar durfte lesen, was ihm Spaß machte; die Götter jedoch zensieren sich selbst.
    Wie man sich an ein Mietshaus und an die Küchengerüche von neunzehn Mietsparteien gewöhnen kann. Von jeder Stufe, jeder Etage, jeder mit Namensschild versehenen Wohnungstür nahm ich Abschied: Oh, Musiker Meyn, den sie als dienstuntauglich zurückgeschickt hatten, der wieder Trompete blies, wieder Machandel trank und darauf wartete, daß sie ihn wieder holten — und später holten sie ihn auch, nur seine Trompete durfte er nicht mitnehmen. Oh, unförmige Frau Kater, deren Tochter Susi sich Blitzmädchen nannte. Oh, Axel Mischke, gegen was hast du deine Peitsche eingetauscht? Herr und Frau Woiwuth, die immer Wruken aßen. Herr Heinert war magenkrank, deshalb bei Schichau und nicht bei der Infanterie. Und nebenan Heinerts Eltern, die noch Heimowski hießen. Oh, Mutter Truczinski;

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