Die Blechtrommel
hatte des Akrobaten Profil einige Ähnlichkeit mit dem Profil eines hochgezüchteten Rennpferdes, deswegen nannte ihn die Raguna scherzhaft »Cavallo« oder »Felix Cavallo«. Gleich dem Hauptmann Bebra trug der Akrobat feldgraue Uniform, allerdings mit den Rangabzeichen eines Obergefreiten. Unkleidsam genug steckten auch die Damen in zu Reisekostümen geschneidertem Feldgrau. Jene Nadelarbeit, die die Raguna unter den Fingern hatte, wies sich gleichfalls als feldgraues Tuch aus: das wurde später meine Uniform. Felix und Bebra hatten sie gestiftet, Roswitha und Kitty nähten abwechselnd daran und nahmen immer mehr von dem Feldgrau weg, bis Rock, Hose, Feldmütze mir paßten. Passendes Schuhzeug für Oskar hätte man jedoch in keiner Kleiderkammer der Wehrmacht auftreiben können.
Ich mußte mich mit meinen zivilen Schnürstiefeln zufriedengeben und bekam keine Knobelbecher.
Meine Papiere wurden gefälscht. Der Akrobat Felix erwies sich bei dieser sensiblen Arbeit als überaus geschickt. Schon aus reiner Höflichkeit konnte ich nicht protestieren; die große Somnambule gab mich als ihren Bruder aus, als ihren älteren, wohlgemerkt: Oskarnello Raguna, geboren am einundzwanzigsten Oktober neunzehnhundertzwölf in Neapel. Ich führte bis zum heutigen Tage allerlei Namen. Oskarnello Raguna war einer davon und gewiß nicht der schlechtestklingende.
Und dann fuhren wir, wie man so sagt, ab. Wir fuhren über Stolp, Stettin, Berlin, Hannover, Köln nach Metz. Von Berlin sah ich so gut wie gar nichts. Fünf Stunden Aufenthalt hatten wir. Natürlich war gerade Fliegeralarm. Wir mußten in den Thomaskeller. Wie die Sardinen lagen die Fronturlauber in den Gewölben. Es gab Hallo, als uns jemand von der Feldgendarmerie durchschleusen wollte. Einige Landser, die von der Ostfront kamen, kannten Bebra und seine Leute von ehemaligen Fronttheatergastspielen her, man klatschte, pfiff, die Raguna warf Kußhändchen. Man forderte uns zum Spielen auf, improvisierte in Minuten am Ende des ehemaligen Bierkellergewölbes so etwas wie eine Bühne. Bebra konnte schlecht nein agen, zumal ihn ein Luftwaffenmajor mit Herzlichkeit und übertriebener Haltung bat, den Leuten doch etwas zum besten zu geben.
Zum erstenmal sollte Oskar in einer richtigen Theatervorführung auftreten. Obgleich ich nicht ganz ohne Vorbereitungen auftrat — Bebra hatte während der Bahnfahrt meine Nummer mehrmals mit mir geprobt — stellte sich doch Lampenfieber ein, so daß die Raguna Gelegenheit fand, mir händestreichelnd Gutes anzutun.
Kaum hatte man uns unser Artistengepäck nachgeschleppt — die Landser waren übereifrig — begannen Felix und Kitty mit ihren akrobatischen Darbietungen. Beide waren Gummimenschen, verknoteten sich, fanden immer wieder durch sich hindurch, aus sich heraus, um sich herum, nahmen von sich weg, fügten einander zu, tauschten dies und das aus und vermittelten den gaffenden, drängenden Landsern heftige Gliederschmerzen und Tage nachwirkenden Muskelkater. Während noch Felix und Kitty sich ver-und entknoteten, trat Bebra als Musikalclown auf. Auf vollen bis leeren Flaschen spielte er die gängigsten Schlager jener Kriegsjahre, spielte »Erika« und »Mamatschi schenk mir ein Pferdchen«, ließ aus den Flaschenhälsen »Heimat deine Sterne« erklingen und aufleuchten, griff, als das nicht recht zünden wollte, auf sein altes Glanzstück zurück: »Jimmy the Tiger« wütete zwischen den Flaschen. Das gefiel nicht nur den Fronturlaubern, das fand auch Oskars verwöhntes Ohr; und als Bebra nach einigen läppischen, aber dennoch erfolgssicheren Zauberkunststücken Roswitha Raguna, die große Somnambule, und Oskarnello Raguna, den glastötenden Trommler, ankündigte, erwiesen sich die Zuschauer als gut eingeheizt: Roswitha und Oskarnello konnten nur Erfolg haben. Mit leichtem Wirbel leitete ich unsere Darbietungen ein, bereitete Höhepunkte mit anschwellendem Wirbel vor und forderte nach den Darbietungen mit großem kunstvollem Schlag zum Beifall heraus. Irgendeinen Landser, selbst Offiziere rief sich die Raguna aus der Zuschauermenge, bat alte gegerbte Obergefreite oder schüchtern freche Fahnenjunker, Platz zu nehmen, sah dem einen oder anderen ins Herz — das konnte sie ja — und verriet der Menge außer den immer stimmenden Daten der Soldbücher noch einige Intimitäten aus den Privatleben der Obergefreiten und Fahnenjunker. Sie machte es delikat, bewies Witz bei ihren Enthüllungen, schenkte einem so Entblößten, wie die
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