Die Blechtrommel
Zuschauer meinten, zum Abschluß eine volle Bierflasche, bat den Beschenkten, die Flasche hoch und deutlich zur Ansicht zu heben, gab sodann mir, Oskarnello, das Zeichen: anschwellender Trommelwirbel, ein Kinderspiel für meine Stimme, die anderen Aufgaben gewachsen war, knallend zerscherbte die Bierflasche: das verdutzte, bierbespritzte Gesicht eines mit allen Wassern gewaschenen Obergefreiten oder milchhäutigen Fahnenjunkers blieb übrig — und dann gab's Applaus, langanhaltenden Beifall, in den sich die Geräusche eines schweren Luftangriffes auf die Reichshauptstadt mischten.
Das war zwar nicht Weltklasse, was wir boten, aber es unterhielt die Leute, ließ sie die Front und den Urlaub vergessen, das machte Gelächter frei, endloses Gelächter; denn als über uns die Luftminen runtergingen, den Keller mit Inhalt schüttelten und verschütteten, das Licht und Notlicht wegnahmen, als alles durcheinanderlag, fand dennoch immer wieder Gelächter durch den dunklen stickigen Sarg,
»Bebra!« riefen sie, »Wir wollen Bebra hören!« und der gute, unverwüstliche Bebra meldete sich, spielte im Dunkeln den Clown, forderte der begrabenen Masse Lachsalven ab und trompetete, als man nach der Raguna und Oskarnello verlangte: »Signora Raguna ist serrrr müde, liebe Bleisoldaten. Auch Klein-Oskarnello muß fürrr das Grrroß-deutsche Reich und den Endsieg ein kleines Schläfchen machen!«
Sie aber, Roswitha, lag bei mir und ängstigte sich. Oskar aber ängstigte sich nicht und lag dennoch bei der Raguna. Ihre Angst und mein Mut fügten unsere Hände zusammen. Ich suchte ihre Angst ab, sie suchte meinen Mut ab. Schließlich wurde ich etwas ängstlich, sie aber bekam Mut. Und als ich ihr das erste Mal die Angst vertrieben, ihr Mut gemacht hatte, erhob sich mein männlicher Mut schon zum zweitenmal. Während mein Mut herrliche achtzehn Jahre zählte, verfiel sie, ich weiß nicht, im wievielten Lebensjahr stehend, zum wievieltenmal liegend ihrer geschulten, mir Mut machenden Angst. Denn genau wie ihr Gesicht hatte auch ihr sparsam bemessener und dennoch vollzähliger Körper nichts mit der Spuren grabenden Zeit gemeinsam. Zeitlos mutig und zeitlos ängstlich ergab sich mir eine Roswitha. Und niemals wird jemand erfahren, ob jene Liliputanerin, die im verschütteten Thomaskeller während eines Großangriffes auf die Reichshauptstadt unter meinem Mut ihre Angst verlor, bis die vom Luftschutz uns ausbuddelten, neunzehn oder neunundneunzig Jahre zählte; denn Oskar kann um so leichter verschwiegen sein, als er selber nicht weiß, ob jene wahrhaft erste, seinen körperlichen Ausmaßen angemessene Umarmung ihm von einer mutigen Greisin oder von einem aus Angst hingebungsvollen Mädchen gewährt wurde.
BETON BESICHTIGEN -ODER MYSTISCH BARBARISCH GELANGWEILT
Drei Wochen lang spielten wir Abend für Abend in den altehrwürdigen Kasematten der Garnison-und Römerstadt Metz. Dasselbe Programm zeigten wir zwei Wochen lang in Nancy. Chålons-sur-Marne nahm uns eine Woche lang gastfreundlich auf. Schon schnellten sich von Oskars Zunge einige französische Wörtchen. In Reims konnte man noch Schäden, die der erste Weltkrieg verursacht hatte, bewundern. Die steinerne Menagerie der weltberühmten Kathedrale spie, vom Menschentum angeekelt, ohne Unterlaß Wasser auf die Pflastersteine, was heißen soll: es regnete tagtäglich, auch nachts in Reims. Dafür hatten wir dann einen strahlend milden September in Paris. An Roswithas Arm durfte ich an den Quais wandeln und meinen, neunzehnten Geburtstag begehen. Obgleich ich die Metropole von den Postkarten des Unteroffiziers Fritz Truczinski her kannte, enttäuschte mich. Paris nicht im geringsten. Als Roswitha und ich erstmals am Fuße des Eiffelturmes standen und wir — ich vierundneunzig, sie neunundneunzig Zentimeter hoch — hinaufblickten, wurde uns beiden, Arm in Arm, erstmals unsere Einmaligkeit und Größe bewußt. Wir küßten uns auf offener Straße, was jedoch in Paris nichts heißen will.Oh, herrlicher Umgang mit Kunst und Historie! Als ich, immer noch Roswitha am Arm haltend, dem Invalidendom einen Besuch abstattete, des großen, aber nicht hochgewachsenen, deshalb uns beiden so verwandten Kaisers gedachte, sprach ich mit Napoleons Worten. Wie jener am Grabe des zweiten Friedrich, der ja auch kein Riese war, gesagt hatte: »Wenn der noch lebte, stünden wir nicht hier!« flüsterte ich zärtlich meiner Roswitha ins Ohr: »Wenn der Korse noch lebte, stünden wir nicht hier, küßten
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