Die Blechtrommel
sich seine Abwesenheit so in die Länge, daß er Mühe hatte, am zwölften Juni vierundvierzig rechtzeitig genug, um Kurtchens dritten Geburtstag mitfeiern zu können, die vertraute, immer noch nicht bombenbeschädigte Heimatstadt zu erreichen.
Welche Geschäfte führten mich fort? Ohne jeden Umschweif sei hier erzählt: Vor der Pestalozzischule, die man in eine Luftwaffenkaserne verwandelt hatte, traf ich meinen Meister Bebra.
Doch Bebra alleine hätte mich nicht zur Reise überreden können. An Bebras Arm hing die Raguna, die Signora Roswitha, die große Somnambule.
Oskar kam vom Kleinhammerweg. Er hatte dem Gretchen Scheffler einen Besuch abgestattet, hatte ein bißchen im »Kampf um Rom« geschmökert, hatte herausgefunden, daß es schon damals, zu Belisars Zeiten, wechselvoll zuging, daß man auch damals schon, geografisch recht weiträumig, Siege und Niederlagen an Flußübergängen und Städten feierte oder einsteckte.
Ich überquerte die Fröbelwiese, die man während der letzten Jahre zu einem Barackenlager der OT gemacht hatte, war mit den Gedanken bei Taginae — im Jahre fünfhundertzweiundfünfzig schlug dort Narses den Totila — doch nicht des Sieges wegen weilten meine Gedanken bei dem großen Armenier Narses, vielmehr hatte es mir die Figur des Feldherrn angetan; verwachsen, bucklig war Narses, klein war Narses, ein Zwerg, Gnom, Liliputaner war Narses. Vielleicht war Narses ein Kinderköpfchen größer als Oskar, überlegte ich und stand vor der Pestalozzischule, sah einigen zu schnell gewachsenen Luftwaffenoffizieren vergleichsweise auf die Ordensschnallen, sagte mir, Narses trug gewiß keine Orden, das hatte der nicht nötig; da stand mitten im Hauptportal der Schule jener große Feldherr persönlich, eine Dame hing an seinem Arm — warum sollte Narses keine Dame am Arm haben? — winzig neben den Luftwaffenriesen kamen sie mir entgegen, dennoch Mittelpunkt, von Historie umwittert, uralt zwischen lauter frischgebackenen Lufthelden — was bedeutete diese ganze Kaserne voller Totilas und Tejas,voller baumlanger Ostgoten gegen einen einzigen armenischen Zwerg namens Narses — und Narses näherte sich Schrittchen auf Schrittchen Oskar, winkte Oskar zu, und auch die Dame an seinem Arm winkte: Bebra und Signora Roswitha Raguna begrüßten mich — respektvoll wich uns die Luftwaffe aus — ich näherte meinen Mund Bebras Ohr, flüsterte: »Lieber Meister, ich hielt Sie für den großen Feldherrn Narses, den ich weit höher einschätze als den Kraftmeier Belisar.«
Bescheiden winkte Bebra ab. Doch die Raguna fand Gefallen an meinem Vergleich. Wie schön sie den Mund beim Sprechen zu bewegen wußte: »Ich bitte dich Bebra, hat er so unrecht, unser junger Amico? Fließt in deinen Adern nicht das Blut des Prinzen Eugen? E Lodovico quattordicesimo? Ist er nicht dein Vorfahr?«
Bebra nahm meinen Arm, führte mich beiseite, da die Luftwaffe uns unentwegt bewunderte und lästig werdend anstarrte. Als schließlich ein Leutnant und gleich darauf zwei Unteroffiziere vor Bebra Haltung annahmen — der Meister trug an der Uniform die Rangabzeichen eines Hauptmanns, am Ärmel einen Streifen mit der Inschrift Propagandakompanie — als die ordensgeschmückten Burschen von der Raguna Autogramme erbaten und auch bekamen, winkte Bebra seinen Dienstwagen herbei, wir stiegen ein und mußten uns noch beim Abfahren den begeisterten Applaus der Luftwaffe gefallen lassen.
Pestalozzistraße, Magdeburger Straße, Heeresanger fuhren wir. Bebra saß neben dem Fahrer. Schon auf der Magdeburger Straße nahm die Raguna meine Trommel zum Anlaß. »Immer noch sind Sie Ihrer Trommel treu, bester Freund?« flüsterte sie mit ihrer Mittelmeerstimme, die ich so lange nicht gehört hatte. »Und wie steht es sonst mit der Treue?« Oskar blieb ihr die Antwort schuldig, verschonte sie mit seinen langwierigen Frauengeschichten, erlaubte aber lächelnd, daß die große Somnambule zuerst seine Trommel, dann seine Hände, die das Blech etwas krampfhaft umklammert hielten, streichelten, immer südlicher streichelten.
Als wir in den Heeresanger einbogen und den Straßenbahnschienen der Linie Fünf folgten, gab ich ihr sogar Antwort, das heißt, ich streichelte mit der Linken ihre Linke, während sie mit ihrer Rechten meiner Rechten zärtlich war. Schon waren wir über den Max-Halbe-Platz hinweg, Oskar konnte nicht mehr aussteigen, da erblickte ich im Rückspiegel des PKW's Bebras kluge, hellbraune, uralte Augen, die unsere Streichelei
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