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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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einige Astern, auch, unpassend, Petersilienstengel.
    Wahrscheinlich waren ihm beim Streuen die Blumen ausgegangen, da er die meisten Astern, auch einige Rosen zum Bekränzen jener vier Bildchen verschwendet hatte, die an den vier Hauptbalken des Gerüstes hingen. Links vorne hing hinter Glas Sir Baden-Powell, der Gründer der Pfadfinder. Links hinten, ungerahmt, der heilige Sankt Georg. Rechts hinten, ohne Glas, der Kopf des David von Michelangelo. Gerahmt und verglast lächelte am rechten vorderen Pfosten das Foto eines vielleicht sechzehnjährigen, ausdrucksvoll hübschen Knaben. Eine frühe Aufnahme seines Lieblings Horst Donath, der als Leutnant am Donez fiel.
    Vielleicht erwähne ich noch die vier Fetzen Papier auf den Podeststufen zwischen Astern und Petersilie. Sie lagen so, daß man sie mühelos zusammensetzen konnte. Das tat Oskar, und er entzifferte eine Vorladung vors Gericht, der man den Stempel der Sittenpolizei mehrmals aufgedrückt hatte.
    So bleibt mir noch zu berichten, daß mich damals der aufdringliche Ruf des Unfallwagens aus den Betrachtungen über den Tod eines Gemüsehändlers weckte. Gleich darauf stolperten sie die Treppe herab, das Podest hinauf und legten Hand an den hängenden Greff. Kaum jedoch, daß sie den Händler gelüpft hatten, fielen und stürzten die das Gegengewicht bildenden Kartoffelkörbe: ähnlich wie "bei der Trommelmaschine, begann ein freigewordener Mechanismus zu arbeiten, den Greff geschickt oberhalb des Gerüstes mit Sperrholz verkleidet hatte. Während unten die Kartoffeln übers und vom Podest auf den Betonboden polterten, schlug es oben auf Blech, Holz, Bronze, Glas, hämmerte oben ein entfesseltes Trommlerorchester Albrecht Greffs großes Finale.
    Es gehört heute zu Oskars schwierigsten Aufgaben, die Geräusche der Kartoffellawine — an der sich übrigens einige Sanitäter bereicherten — den organisierten Lärm der Greffschen Trommelmaschine auf seinem Blech nachhallen zu lassen. Wahrscheinlich weil meine Trommel die Gestaltung des Greffschen Todes entschieden beeinflußte, gelingt es mir manchmal, ein abgerundetes, Greffs Tod übersetzendes Trommelstück auf Oskars Blech zu legen, das ich, von Freunden und dem Pfleger Bruno nach dem Titel befragt, Fünfundsiebenzig Kilo nenne.

BEBRAS FRONTTHEATER
    Mitte Juni zweiundvierzig wurde mein Sohn Kurt ein Jahr alt. Oskar, der Vater, nahm das gelassen hin, dachte sich: noch zwei Jährchen. Im Oktober zweiundvierzig erhängte sich der Gemüsehändler Greff an einem so formvollendeten Galgen, daß ich, Oskar, fortan den Selbstmord zu den erhabenen Todesarten zählte. Im Januar dreiundvierzig sprach man viel von der Stadt Stalingrad. Da Matzerath jedoch den Namen dieser Stadt ähnlich betonte, wie er zuvor Pearl Harbour, Tobruk und Dünkirchen betont hatte, schenkte ich den Ereignissen in jener fernen Stadt nicht mehr Aufmerksamkeit als anderen Städten, die mir durch Sondermeldungen bekannt wurden; denn für Oskar waren Wehrmachtsberichte und Sondermeldungen eine Art Geografieunterricht. Wie hätte ich sonst auch erfahren können, wo die Flüsse Kuban, Mius und Don fließen, wer hätte mir besser die geografische Lage der Aleuteninseln Atu, Kiska und Adak erläutern können als ausführliche Radioberichte über die Ereignisse im Fernen Osten. So lernte ich also im Januar dreiundvierzig, daß die Stadt Stalingrad an der Wolga liegt, sorgte mich aber weniger um die sechste Armee, vielmehr um Maria, die zu jener Zeit eine leichte Grippe hatte.
    Während Marias Grippe abklang, setzten die im Radio ihren Geografieunterricht fort: Rzev und Demjansk sind für Oskar heute noch Ortschaften, die er sofort und blindlings auf jeder Karte Sowjetrußlands findet. Kaum war Maria genesen, bekam mein Sohn Kurt den Keuchhusten. Während ich versuchte, mir die schwierigsten Namen einiger heißumkämpfter Oasen Tunesiens zu merken, fand mit dem Afrikakorps auch Kurtchens Keuchhusten sein Ende.
    Oh Wonnemonat Mai: Maria, Matzerath und Gretchen Scheffler bereiteten Kurtchens zweiten Geburtstag vor. Auch Oskar maß dem bevorstehenden Festtag größere Bedeutung bei; denn vom zwölften Juni dreiundvierzig an brauchte es nur noch ein Jährchen. Ich hätte also, wäre ich anwesend gewesen, an Kurtchens zweitem Geburtstag meinem Sohn ins Ohr flüstern können: »Warte nur, balde trommelst auch du.« Es begab sich aber, daß Oskar am zwölften Juni dreiundvierzig nicht in Danzig-Langfuhr weilte, sondern in der alten Römerstadt Metz. Ja, es zog

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