Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
uns nicht unter den Brücken, auf den Quais, sur le trottoir de Paris.«
    Im Rahmen eines Riesenprogramms traten wir in der Salle Pleyel und im Theatre Sarah Bernhardt auf.
    Oskar gewöhnte sich schnell an die großstädtischen Bühnenverhältnisse, verfeinerte sein Repertoire, paßte sich dem verwöhnten Geschmack der Pariser Besatzungstruppen an: ich zersang nicht mehr simple, deutsch-ordinäre Bierflaschen, nein, ausgesuchteste, schöngeschwungene, hauchdünn geatmete Vasen und Fruchtschalen aus französischen Schlössern zersang und zerscherbte ich. Nach kulturhistorischen Gesichtspunkten baute sich mein Programm auf, begann mit Gläsern aus der Zeit Louis XIV., ließ Glasprodukte aus der Epoche Louis XV. zu Glasstaub werden. Mit Vehemenz, der revolutionären Zeit eingedenk, suchte ich die Pokale des unglücklichen Louis XVI. und seiner kopflosen Marie Antoinette heim, ein bißchen Louis Philippe, und zum Abschluß setze ich mich mit den gläsernen Phantasieprodukten des französischen Jugendstils auseinander.
    Wenn auch die feldgraue Masse im Parkett und auf den Rängen dem historischen Ablauf meiner Darbietungen nicht folgen konnte und die Scherben nur als gewöhnliche Scherben beklatschte, gab es dann und wann doch Stabsoffiziere und Journalisten aus dem Reich, die außer den Scherben auch meinen Sinn fürs Historische bewunderten. Ein uniformierter Gelehrtentyp wußte mir Schmeichelhaftes über meine Künste zu sagen, als wir, nach einer Gala-Vorstellung für die Kommandantur, ihm vorgestellt wurden. Besonders dankbar war Oskar dem Korrespondenten einer führenden Zeitung des Reiches, der in der Seine-Stadt weilte, sich als Spezialist für Frankreich auswies und mich diskret auf einige kleine Fehler, wenn nicht Stilbrüche in meinem Programm aufmerksam machte.
    Wir blieben den Winter über in Paris. In erstklassigen Hotels logierte man uns ein, und ich will nicht verschweigen, daß Roswitha an meiner Seite den ganzen langen Winter hindurch die Vorzüge der französischen Bettstatt immer wieder erprobte und bestätigte. War Oskar glücklich in Paris? Hatte er seine Lieben daheim, Maria, den Matzerath, das Gretchen und den Alexander Scheffler, hatte Oskar seinen Sohn Kurt, seine Großmutter Anna Koljaiczek vergessen?
    Wenn ich sie auch nicht vergessen hatte, vermißte ich dennoch keinen meiner Angehörigen. So schickte ich auch keine Feldpostkarte nach Hause, gab denen kein Lebenszeichen, bot ihnen vielmehr die Möglichkeit, ein Jahr lang ohne mich zu leben; denn eine Rückkehr hatte ich schon bei der Abfahrt beschlossen, war es doch für mich von Interesse, wie sich die Gesellschaft ohne meine Anwesenheit daheim eingerichtet hatte. Auf der Straße, auch während der Vorstellung suchte ich manchmal in den Gesichtern der Soldaten nach bekannten Zügen. Vielleicht hat man Fritz Truczinski oder Axel Mischke von der Ostfront abgezogen und nach Paris versetzt, spekulierte Oskar, glaubte auch ein oder zweimal in einer Horde Infanteristen Marias flotten Bruder erkannt zu haben; aber er war es nicht: Feldgrau täuscht!
    Einzig und alleine der Eiffelturm ließ in mir Heimweh aufkommen. Nicht etwa daß ich ihn bestiegen und, vom Fernblick verführt, den Drang Richtung Heimat erweckt hätte. Oskar hatte den Turm auf Postkarten und in Gedanken so oft bestiegen, daß eine tatsächliche Besteigung nur einen enttäuschten Abstieg bewirkt hätte. Am Fuße des Eiffelturmes, doch ohne Roswitha, alleine unter dem kühn geschwungenen Beginn der Metallkonstruktion stehend oder gar hockend, wurde mir jenes zwar Durchblick gewährende, dennoch geschlossene Gewölbe zur alles verdeckenden Haube meiner Großmutter Anna: wenn ich unter dem Eiffelturm saß, saß ich auch unter ihren vier Röcken, das Marsfeld wurde mir zum kaschubischen Kartoffelacker, ein Pariser Oktoberregen fiel schräg und unermüdlich zwischen Bissau und Ramkau, ganz Paris, auch die Metro, roch mir an solchen Tagen nach leicht ranziger Butter, still wurde ich, nachdenklich, Roswitha ging mit mir behutsam um, achtete meinen Schmerz; denn sie war von feinfühlender Art.
    Im April vierundvierzig — von allen Fronten wurden erfolgreiche Frontverkürzungen gemeldet — mußten wir unser Artistengepäck packen, Paris verlassen und den Atlantikwall mit Bebras Fronttheater beglücken. Wir begannen die Tournee in Le Havre. Bebra wollte mir wortkarg, zerstreut vorkommen. Wenn er auch während der Vorstellungen nie versagte und die Lacher nach wie vor auf seiner Seite hatte,

Weitere Kostenlose Bücher