Die Blechtrommel
versteinerte sich, sobald der letzte Vorhang fiel, sein uraltes Narsesgesicht. Anfangs glaubte ich, in ihm einen Eifersüchtigen und, schlimmer noch, einen vor der Kraft meiner Jugend Kapitulierenden zu sehen. Roswitha klärte mich flüsternd auf, wußte zwar nichts Genaues, munkelte nur von Offizieren, die nach den Vorstellungen Bebra hinter verschlossenen Türen aufsuchten. Es sah so aus, als verließe der Meister seine innere Emigration, als plante er etwas Direktes, als regierte in ihm das Blut seines Vorfahren, des Prinzen Eugen. Es hatten ihn seine Pläne so weit von uns entfernt, ihn zwischen so weiträumige Bezüglichkeiten geführt, daß Oskars enges Verhältnis zu seiner ehemaligen Roswitha allenfalls ein müdes Lächeln in sein Faltengesicht lockte. Als er uns — in Trouville war's, wir logierten im Kurhotel — engumschlungen auf dem Teppich unserer gemeinsamen Garderobe überraschte, winkte er ab, als wir auseinanderfallen wollten, und sagte in seinen Schminkspiegel hinein: »Habt euch, Kinder, küßt euch, morgen besichtigen wir den Beton, und schon übermorgen knirscht euch Beton zwischen den Lippen, nimmt euch die Lust am Kuß!«
Das war im Juni vierundvierzig. Wir hatten inzwischen den Atlantikwall von der Biscaya bis hoch nach Holland abgeklappert, blieben jedoch zumeist im Hinterland, sahen nicht viel von den sagenhaften Bunkern, und erst in Trouville spielten wir erstmals direkt an der Küste. Man bot uns eine Besichtigung des Atlantikwalls an. Bebra sagte zu. Letzte Vorstellung in Trouville. Nachts wurden wir in das Dörfchen Bavent, kurz vor Caen, vier Kilometer hinter den Stranddünen verlegt. Man quartierte uns bei Bauern ein.
Viel Weideland, Hecken, Apfelbäume. Man brennt dort den Obstschnaps Calvados. Wir tranken davon und schliefen gut danach. Scharfe Luft kam durchs Fenster, ein Froschtümpel quakte bis zum Morgen. Es gibt Frösche, die können trommeln. Im Schlaf hörte ich sie und ermahnte mich: du mußt nach Hause, Oskar, bald wird dein Sohn Kurt drei Jahre alt, du mußt ihm die Trommel liefern, du hast sie ihm versprochen! Wenn Oskar so ermahnt von Stunde zu Stunde als gepeinigter Vater erwachte, tastete er neben sich, vergewisserte sich seiner Roswitha, nahm ihren Geruch wahr: ganz leicht roch die Raguna nach Zimt, gestoßenen Nelken, Muskat auch; sie roch vorweihnachtlich nach Backgewürzen und hielt diesen Geruch selbst im Sommer.
Mit dem Morgen fuhr vor dem Bauernhof ein Schützenpanzerwagen vor. Im Hoftor schauerten wir alle ein wenig. Es war früh, frisch, gegen den Wind von der See her schwatzten wir, stiegen auf: Bebra, die Raguna, Felix und Kitty, Oskar und jener Oberleutnant Herzog, der uns zu seiner Batterie westlich Cabourg führte.
Wenn ich sage, daß die Normandie grün ist, verschweige ich jenes weißbraun gefleckte Vieh, das links und rechts der schnurgeraden Landstraße auf taunassen, leicht nebligen Weiden seinem Wiederkäuerberuf nachging, unserem gepanzerten Fahrzeug mit einem Gleichmut begegnete, daß die Panzerplatten schamrot geworden wären, hätte man sie zuvor nicht mit einem Tarnanstrich versehen.
Pappeln, Hecken, kriechendes Gebüsch, die ersten ungeschlachten, leeren und mit Fensterläden schlagenden Strandhotels; in die Promenade bogen wir ein, stiegen ab und stiefelten hinter dem Oberleutnant, der dem Hauptmann Bebra einen zwar überheblichen, dennoch strammen Respekt erwies, durch die Dünen, gegen einen Wind voller Sand und Brandungsgeräusch.
Das war nicht die sanfte Ostsee, die mich flaschengrün und mädchenhaft schluchzend erwartete. Da erprobte der Atlantik sein uraltes Manöver: stürmte bei Flut vor, zog sich bei Ebbe zurück.
Und dann hatten wir ihn, den Beton. Bewundern und streicheln durften wir ihn; er hielt still.
»Achtung!« schrie jemand im Beton, warf sich baumlang aus jenem Bunker, der die Form einer oben abgeflachten Schildkröte hatte, zwischen zwei Dünen lag, »Dora sieben« hieß und mit Schießscharten, Sehschlitzen und kleinkalibrigen Metallteilen auf Ebbe und Flut blickte. Obergefreiter Lankes hieß der Mensch, der dem Oberleutnant Herzog, auch unserem Hauptmann Bebra meldete.
Lankes (grüßend): Dora sieben, ein Obergefreiter, vier Mann. Keine besonderen Vorkommnisse!
Herzog: Danke! Stehen Sie bequem, Obergefreiter Lankes. — Sie hören, Herr Hauptmann, keine besonderen Vorkommnisse. So geht das seit Jahren.
Bebra: Immerhin Ebbe und Flut! Die Darbietungen der Natur! Herzog: Genau das ist es, was unseren Leuten zu
Weitere Kostenlose Bücher